Wein und mehr | 03. August 2017

Von der heilsamen Freude am Tun

Von Katja Brudermann
Der Aspichhof in Ottersweier ist ein äußerst vielseitiger landwirtschaftlicher Betrieb. Seine Besonderheit: Hier werden psychisch labile Menschen in die Arbeitsabläufe integriert und betreut. Ein Konzept, das aufgeht – wirtschaftlich wie menschlich. Ein sozialer Auftrag, den man wollen muss.
Simon Glaser war 16 Jahre alt, als seine Eltern die Bewirtschaftung des Aspichhofs übernahmen. Seither hat er die landwirtschaftliche Arbeit und auch den Umgang mit psychisch labilen Menschen kennen und lieben gelernt. Schon bald begann er, auf dem Betrieb mit seinem sozialen Konzept auch die eigene berufliche Perspektive zu sehen. Bereits während seines Studiums der Agrarwirtschaft arbeitete er mit, übernahm erst die Verantwortung für den Bereich Obstbau und stieg nach Studienabschluss in die Betriebsleitung ein. „Der bisherige Betriebsleiter wollte sich nach sieben Jahren Aspichhof beruflich noch einmal verändern – doch war ihm auch wichtig, mich zuvor noch ausreichend einzuarbeiten”, erklärt er. 
Nach fünf Monaten gemeinsamer Betriebsleitung trägt der 28-Jährige seit April 2017 die Verantwortung fürs Tagesgeschäft auf dem vielseitigen Betrieb allein. Langfristige Entscheidungen stimmt er mit seinem Vater Ewald Glaser ab, der bereits seit 2004 Geschäftsführer der Aspichhof gGmbH ist.
 
So viel Selbständigkeit wie möglich
Auf dem Aspichhof und seinen Betriebszweigen steht Handarbeit für die Integrationskräfte ganz oben an. Auch in den Reben wird vieles in arbeitsintensiver Handarbeit geleistet – Traubenhalbierung und Handlese gehören dazu. Vorn links im Bild: Simon Glaser, neuer Betriebsleiter des Aspichhofes seit April 2017.
Die bis zu zehn Bewohner der betreuten Wohngruppe sind im Alter von 24 bis 60 Jahren. Depressionen, Schizophrenie oder andere psychische Einschränkungen haben sie hierher gebracht. Eine Sozialarbeiterin sorgt für die erforderliche Unterstützung im Alltag.
Die Mitarbeit in Landwirtschaft und Verarbeitung schafft eine Tagesstruktur, in der die angeschlagenen Menschen langsam Selbstvertrauen aufbauen und das Leben in einer Gemeinschaft lernen können. Unter der Woche gibt es täglich eine gemeinsame Mahlzeit mit allen anwesenden Mitarbeitern und Bewohnern, die das Zugehörigkeitsgefühl stärkt. Ungewöhnlich für einen landwirtschaftlichen Betrieb und ungemein wichtig für psychisch instabile Menschen sind die klaren Strukturen, die den Alltag auf dem Aspichhof bestimmen. Von 7.30–11.30 Uhr und von 13–17 Uhr sind die Arbeitszeiten. „Wir versuchen, diese auch streng einzuhalten”, betont Simon Glaser – auch wenn für den jungen Betriebsleiter andere Gesetze gelten.
Alles ist geregelt
Wenn die mitarbeitenden Patienten die Spaten fallen lassen, dreht er meist noch eine Runde übers Gelände. „Für mich ist es auch von Vorteil, wenn um 17 Uhr aufgehört wird zu arbeiten. Die Zeit danach kann ich nutzen, um in Ruhe die Arbeitspläne für den nächsten Tag vorzubereiten”, erklärt er.
Länger als bis 19 Uhr ist er auch nicht mehr im Einsatz. „Ich muss nicht nur meinen Mitarbeitern Grenzen setzen, sondern auch mir selbst. Ich könnte hier ja 24 Stunden am Tag arbeiten. Um der Aufgabe als Betriebsleiter dauerhaft gewachsen zu sein, muss ich jeden Abend Dinge liegen lassen und irgendwann Feierabend machen.”
Ganz nach der Stechuhr können freilich nicht alle Arbeitstage ablaufen. Wenn ein Silo abgedeckt ist, dann ist der Arbeitstag erst zu Ende, wenn alle Silage heimgebracht ist und nicht, wenn die Regelarbeitszeit vorbei ist.
Herausforderung und Aufgabe
Für die Wirtschaftlichkeit des Betriebs und für das Wohlbefinden der Patienten ist wichtig, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten arbeitet. Das bedeutet im ersten Schritt: Nicht jeder Mensch, der in die Schublade „Psychisch krank mit Anrecht auf ambulant betreutes Wohnen” passt, ist auf dem Aspichhof an der richtigen Adresse. Wer gar keine Freude am gemeinschaftlichen Leben auf dem Lande und am Arbeiten mit den Händen entwickeln kann, ist hier nicht richtig.
Zwei Wochen Probewohnen steht für jeden neuen Anwärter an, bevor beide Seiten eine Entscheidung treffen. Nicht umsonst bietet der Aspichhof eine sehr breite Vielfalt an Arbeitsfeldern. Mit Absicht ist der Betrieb so aufgebaut, dass es mehr Handarbeit gibt als auf den meisten anderen Betrieben, und somit mehr Betätigungsfelder für die Bewohner.
So werden die Schweine auf Stroh gehalten und alle Gebäude werden mit Stückholz aus dem eigenen Wald geheizt. Simon Glaser schaut sehr genau, welche Fähigkeiten jeder neue Bewohner mitbringt. Der eine kann stundenlang Holz hacken, der andere liebt Tiere und kann die Stallarbeit weitgehend selbständig verrichten, der dritte ist beim Brotbacken in seinem Element.
Freude ist ein Motor, sich einzubringen
Unter den vielfältigen Aufgaben, die der Aspichhof zu bieten hat, findet sich immer wieder eine, die ein bestimmter Bewohner besonders gut ausführen kann. Die gilt es zu entdecken. Und dann zeigt sich: Wenn die Aufgabe Freude macht und der Rahmen stimmt, tritt die psychische Beeinträchtigung in den Hintergrund, und ein Bewohner kann mitunter ähnlich viel leisten wie ein „gesunder” Saisonarbeiter.
Natürlich geht dennoch immer wieder etwas schief. Simon Glaser erzählt ein Beispiel: „Wir haben in unserer Gruppe einen technikbegeisterten Autisten. Ich habe ihn geschickt, um einen Hänger zu holen, am hellichten Tag; ich brauchte ihn dringend. Er kam und kam nicht zurück, also musste ich nachfragen, wo er bleibt ... er hatte entdeckt, dass das Licht kaputt war und hatte sich ans Reparieren gemacht.”
Gelassenheit, Humor und starke Nerven hält der junge Betriebsleiter für die besten Mittel, um den Alltag auf dem Aspichhof zu bestehen. „Es passieren ständig Dinge, über die ich mich aufregen könnte. Auf den zweiten Blick muss ich dann aber doch oftmals lachen”, berichtet er.
Selbstvertrauen zurück geben
Wie lange ein Bewohner auf dem Aspichhof bleibt, ist von Mal zu Mal verschieden. Simon Glaser berichtet: „Im Moment haben wir sehr viele junge Menschen zwischen 24 und 30 Jahren. Hier arbeiten wir darauf hin, dass sie irgendwann allein zurechtkommen.”
Erfahrungsgemäß braucht das viel Zeit. „Manche Menschen, die zu uns kommen, haben jegliches Selbstvertrauen verloren”, beobachtet der Betriebsleiter. Die Schicksale von Menschen in seinem Alter, die bereits an einer Depression oder Schizophrenie leiden, gehen ihm besonders nah.
Der Alltag auf dem Aspichhof gibt ihnen die Chance, langsam aber sicher wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen und zu lernen, auch einmal ohne den Aspichhof im Rücken das Leben zu meistern.
Eine Heimat für ältere Menschen
Etwas anders schaut die Perspektive bei den älteren Bewohnern aus. „Wenn jemand hier eine Heimat gefunden hat, dann soll er sie auch behalten, solange es möglich ist”, formuliert Simon Glaser. Er möchte es möglich machen, dass diejenigen, die jetzt 60 Jahre zählen, auch noch bis über das Rentenalter hinaus bleiben können. „Wenn es die Situation erfordert, finanziert der Kostenträger auch eine Pflegekraft”, weiß er.
Das Spannungsfeld zwischen sozialem Engagement und betriebswirtschaftlichem Denken wird hier spürbar. Der Aspichhof möchte auch für die Bewohner eine Heimat bleiben, die nicht mehr mitarbeiten können. Zugleich ist der Betrieb darauf ausgerichtet und auch darauf angewiesen, dass die Bewohner einen realen Teil der alltäglichen Arbeiten übernehmen. 
Gelassenheit, Humor und Menschenfreundlichkeit
Die wirtschaftliche Stabilität des Betriebs hängt nicht allein an der Arbeitsleistung der Bewohner. Simon Glaser sieht in anderen Bereichen weiteres Optimierungspotenzial. Die Arbeitsabläufe, die Verwaltung und die Vermarktung möchte er in den nächsten Jahren weiter professionalisieren.
„Was die Molkereiprodukte und den Wein betrifft, können wir den Direktvermarktungsanteil noch erhöhen und so das betriebswirtschaftliche Ergebnis verbessern”, weiß er.
Die größte Herausforderung sieht er darin, passende Mitarbeiter zu finden. Denn die verantwortlichen Mitarbeiter brauchen nicht nur Begeisterung und Kompetenz für ihre Tätigkeiten, sondern auch eine große Portion Gelassenheit, Humor und Menschenfreundlichkeit, um mit den hier lebenden Menschen zurechtzukommen. Denn eines ist für Simon Glaser klar: „Unseren sozialen Auftrag wollen wir auf jeden Fall auch in Zukunft erfüllen.”  
Der Aspichhof im Überblick
Fläche: Insgesamt 110 ha, 14 ha Weinbau, davon 4 ha Riesling, 5 ha Spätburgunder, Rest je circa 1 ha Sauvignon Blanc, Cabernet Dorsa, Weiß- und Grauburgunder, Müller-Thurgau. Die Ernte wird vollständig an die Winzergenossenschaft Affental abgeliefert.  85 Prozent werden zu Weinen der WG ausgebaut. 15 Prozent werden separat ausgebaut – diese Flaschen vermarktet der Aspichhof mit eigenem Etikett im Hofladen und an Wiederverkäufer. 1 ha Gärtnerei mit Zierpflanzen und Gemüse; auch ein Garten- und Landschaftspflegebetrieb ist angegliedert. 10 ha Obstbau – Hauptkulturen sind Äpfel, Kirschen und Zwetschgen; 20 ha Ackerbau, davon 50 Prozent Getreide, 50 Prozent Saatmais, 50 ha Grünland, 15 ha Wald.

Tierhaltung: 45 Milchkühe – es handelt sich um Fleckvieh, die Nachzucht bleibt auf dem Betrieb und wird im Alter von ca. 20 Monaten geschlachtet. 100 Mastschweine, 300 Legehennen.

Hofeigene Verarbeitung: In der Molkerei wird die eigene Milch vollständig verarbeitet. Rund 250.000 Liter Milch werden im Jahr zu einem breiten Sortiment an Frisch- und Weichkäse, Frischmilch und Butter transformiert. In der Metzgerei werden monatlich ca. 20 Schweine und zwei Rinder verarbeitet. Die Schlachtung erfolgt extern, die weitere Verarbeitung im Betrieb. In der Bäckerei entstehen Brote, Kuchen und weitere Backwaren.

Vermarktung: Der Hofladen ist der wichtigste Vermarktungskanal. Zudem werden  Wiederverkäufer und Gastronomen beliefert; Getreide und Mais gehen an den Großhandel.

Betriebsleitung: Simon Glaser (28 J., Landwirt, Master of Agribusiness). Stellenschlüssel/Mitarbeiter: 20 volle Stellen, verteilt auf 35 Personen. Sieben der 35 Personen sind Integrationskräfte, deren Belastbarkeit eingeschränkt und deren Lohn staatlich bezuschusst ist. Hinzu kommen übers Jahr verteilt bis zu 10 Praktikanten und 3–4 Saisonhelfer in den Sommermonaten und zur Weinlese.

Betreutes Wohnen: Zum Aspichhof gehört eine Wohngruppe mit zehn Plätzen. Hier leben Menschen in Gemeinschaft, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung allein nicht zurechtkämen. Ein Sozialarbeiter kümmert sich um die sozialen und rechtlichen Belange der Bewohner. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten arbeiten sie bis zu acht Stunden täglich in der Landwirtschaft mit. Die Aspichhof gGmbH erhält für jeden Bewohner gesetzlich festgelegte Beträge für Verpflegung, Unterkunft und Betreuung.