Fachliches | 10. Juli 2024

Keine Entspannung in Sicht

Von Johannes Werner, Weinbauberater LRA Ortenaukreis
Die langfristigen Prognosen sagen auch für die nächsten Wochen eine wechselhafte Witterung voraus. Das heißt: Bis zum Abschluss der Pflanzenschutzsaison kommt noch viel Arbeit auf die Weinbaubetriebe zu. Zudem stehen demnächst das Entblättern und Gipfeln auf der Tagesordnung.
Auch der Juni konnte nicht mit einer stabilen sommerlichen und trockenen Phase glänzen. Zwar haben sich die Niederschlagsmengen im Vergleich zum Mai etwas normalisiert, dennoch bleibt es weitestgehend ein verregneter und kühler Frühsommer. Die alte Bauernweisheit „Schaltjahr gleich Kaltjahr” scheint zumindest bis jetzt zuzutreffen. Ein Blick in die Tabelle der Niederschlagsmengen in Baden verrät, dass an allen Stationen reichlich Regen niederging. Die Hälfte des durchschnittlichen Jahresniederschlages wurde teils weit überschritten. Wo es keinen Frost gab, ging die Blüte in Baden meist Mitte Juni zu Ende. Trotz der suboptimalen Bedingungen kann man in den weiter fortgeschrittenen Anlagen von einem guten Blühergebnis sprechen. Lediglich die vom Frost gezeichneten Anlagen zeigen besonders am ersten Geschein teils enorme Verrieselungen, was die dort sowieso schon geringeren Ertragsaussichten nochmals schmälern dürfte.  
Peronospora fast überall
Aufgrund der durchgehend regnerischen Witterung ist 2024 bisher Peronospora die Leitkrankheit. Meist ausgehend von den ergiebigen Niederschlägen Mitte Mai finden sich mittlerweile in der überwiegenden Anzahl der Flächen Infektionen in der Laubwand. Zwar sind auch Gescheine befallen, aber nur begrenzt. Anlagen, die von Frost oder Hagel betroffen waren und nicht unmittelbar nach dem Ereignis behandelt wurden, scheinen am stärksten betroffen zu sein. In Anbetracht der Witterung und der Mitte Juni vorherrschenden Befallssituation sieht der überwiegende Teil der Anlagen sehr gesund aus. Dies liegt besonders an der Vorsicht und dem Einsatz der Winzerinnen und Winzer, die die wenigen freundlichen Tage konsequent für den Pflanzenschutz genutzt haben. Die langfristigen Wetterprognosen zeigen über den Juni hinaus wechselhafte Witterung mit größeren Temperaturschwankungen und Niederschlägen – zumindest eine lange Trockenphase wird nicht prognostiziert. Dies bedeutet aber auch, dass sich die Situation bis zum Abschluss der Pflanzenschutzsaison Ende Juli bis Anfang August nur wenig entspannen wird. Zwar nimmt die Empfindlichkeit der Traube gegenüber dem Echten Mehltau mit dem weiteren Wachstum und der Bildung der Wachsschicht ab, jedoch hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, welches Potenzial dieser Pilz in trockeneren Phasen haben kann.  
Entblätterung: Termin und Arbeitshöhe
  Es gibt viel Literatur und Versuche zum optimalen Entblätterungszeitpunkt. In den meisten Fällen hat sich die Phase direkt nach der Blüte, bei der sich der Fruchtansatz vergrößert, als positiv herausgestellt. In dieser Phase kann mit etwas höherer Intensität und beidseitig gearbeitet werden – egal ob nun Saug-Zupf, Druckluft-Zupf, Druckluft oder eine Kombination aus diesen Techniken verwendet wird. Wichtig ist die Arbeitshöhe: Dabei sollte man sich auch bei der maschinellen Arbeit an den Vorgaben für die manuelle Arbeit orientieren – also zwei bis drei Blätter ausgehend von der Triebbasis entfernen. Viele Maschinen besitzen eine größere Arbeitsbreite. Diese können teils verschlossen oder einfach tiefer angesetzt werden. Ein fehlendes „Dach” über der Traube lässt bei direkter Sonneneinstrahlung die Beerentemperatur ansteigen, was zu Aromaverlust und Phenolbildung führen kann. Es zeigt sich, dass die Vorteile der frühen Entblätterung hier am größten sind: der Auflockerungseffekt, ein moderater Ertragseingriff und der große Botrytisminderungseffekt durch die Auflockerung sowie Belüftung, Belichtung, Besonnung und die Verdickung der Kutikula. Ein weiterer Vorteil der frühen Entlaubung, die in immer heißer werdenden Jahren eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt, sind die Wiederbelaubung der Traubenzone in der Spätsommerphase und die Gewöhnung der jungen Beeren an die Sonne. Beides kann Sonnenbrand vorbeugen. Für die meisten Sorten wird ein Durchgang ausreichend sein. Lediglich bei roten Sorten oder dort, wo durch eine weitere Teilentblätterung spezielle Aromen forciert werden, kann im August die Morgensonnenseite nochmals moderat teilentblättert werden. Dasselbe gilt, wenn es der Vermarktungsbetrieb fordert und es wirtschaftlich sinnvoll ist. In schwachwüchsigen oder kümmerlichen Anlagen sollte aufgrund der Problematik mit der „untypischen Alterungsnote” (UTA) von einer frühen Teilentblätterung abgesehen werden. Stattdessen ist nach der Zellteilungsphase eine moderate Entblätterung auf der Morgensonnenseite durchzuführen.
Kompakt oder locker
Zum Redaktionsschluss dieses Magazins war der erste Gipfeltermin noch nicht absehbar. Zwar war die Blüte in den letzten Zügen, der vegetative Wuchs aber verhältnismäßig zurückhaltend. Mit der richtigen Terminierung des ersten Laubschnittes lassen sich Traubengewichte, Ertragshöhe sowie die Traubenstruktur beeinflussen. Das Ergebnis sind also entweder kompaktere oder lockerere Trauben. Mit dem ersten Laubschnitt werden die Haupttriebe, die nach oben wachsen, sowie die Geiztriebe eingekürzt – in diesem Jahr auch die frostbedingten Krüppeltriebe, die seitlich aus der Drahtanlage ragen. Erst die Kürzung des Haupttriebes regt den Geiztriebwuchs richtig an. Zur Terminierung lässt sich Folgendes sagen: Ein früher Laubschnitt – kurz vor oder während der Blüte – bedeutet größere Beeren, kompaktere Struktur, höhere Erträge, aber auch ein erhöhtes Fäulnisrisiko. Ein späterer Laubschnitt bringt kleinere Beeren, eine lockerere Struktur und geringere Erträge. Zudem bilden die Reben weniger Geiztrauben, was der Versorgung der Trauben am Haupttrieb zugutekommen kann. Der erste Schnitt wird etwa 20 bis 30cm über dem obersten Draht gesetzt, die weiteren Schnitte im Laufe der Saison etwas höher, um nicht im verholzten Bereich zu arbeiten. Mit Blick auf den zweiten Schnitt muss dort nicht abgewartet werden. Es sollte eine Beschattung der Traubenzone vermieden werden.
Ertragsregulierung
 Der Traubenansatz und damit die Ertragserwartungen sind aufgrund des Frostes über Baden hinweg sehr unterschiedlich. Gut verblühte Anlagen zeigen auch einen guten Traubenansatz. Nicht jede Sorte und Lage hatte aber diese guten Bedingungen. Grundlage jeder Ertragsregulierung sollten eine Ertragsschätzung und die visuelle Beurteilung der Anlagen sein. Besonders im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass sich Botrytis durch verschiedene Verfahren vermeiden lässt, etwa durch die „Ausblastechnik”, den Einsatz von Bioregulatoren oder das händische Auflockern der Trauben. Wegen der unterschiedlichen Blühqualität und der wirtschaftlichen Situation wird es dieses Jahr aber wieder eine Einzelanlagenentscheidung sein, ob und in welchem Umfang die noch zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Botrytis-Vorbeugung zum Einsatz kommen. Im August lassen sich mit dem Traubenteilen sowohl der Ertrag als auch die kompakten Strukturen auflockern – bei den weißen Sorten zum Entwicklungsstadium „kurz vor dem Weichwerden der Beeren” und bei Rotweinsorten zum Stadium „Beginn des Färbens der Trauben”. Hierzu sollte grundsätzlich mehr als die Hälfte der Traube abgeschnitten werden. Das Entfernen ganzer Trauben, besonders an Kümmertrieben, sollte immer mit Blick auf die wirtschaftliche Situation fast obligatorisch sein. Zum Redaktionsschluss ließ sich das endgültige Blühergebnis in den frostgeschädigten Anlagen noch nicht ausreichend beurteilen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Anlagen den Verlust kompensieren und sehr dicht werden. Auch hier kann es sinnvoll sein, Hand anzulegen, um ein aufwendiges Verlesen, wie es 2023 in vielen Anlagen der Fall war, zu vermeiden.