Fachliches | 04. Oktober 2023

Folgen des Klimawandels abfedern

Von Tobias Burtsche
Arbeitshinweise für den Oktober - Bei der diesjährigen Lese zeigten sich die Folgen der zurückliegenden Wetterextreme: Traubenwelke in Burgundersorten, Essigfäulnis oder Oidiumbefall, Frucht- und Kirschessigfliegen sowie später Sonnenbrand und Esca-Befall. Was lässt sich jetzt tun – auch, um für 2024 gewappnet zu sein?
Je nach Alter der Reben, können von Esca befallen Stämme eventuell amputiert werden.
Es heißt: Nach der Lese ist vor der Lese. Strategische Neuausrichtungen der Kulturführung sollten, wenn nötig, in überlegten kleinen Schritten erfolgen. Gesucht sind Möglichkeiten, die witterungsbedingten Risiken, die der Klimawandel im Weinbau mit sich bringt, durch Anpassung von arbeitswirtschaftlichen Strategien besser in den Griff zu bekommen.

Esca-Sanierung:
Wurden bei der Vorbereitung zur Maschinenlese an Esca erkrankte Reben gekennzeichnet, kann nach der Ernte entschieden werden, ob es aufgrund des Alters der Rebanlage sinnvoll ist, mittels einer Stammamputation und dem Hochbinden eines Bodentriebes einen neuen Stamm aufzubauen. Das ist bei Hochstammrebanlagen natürlich nicht möglich. Es sei denn, die Hochstammreben haben über der Veredlungsstelle noch einen gesunden, intakten Stamm.
In Normalanlagen ist die Stammamputation zu empfehlen, wenn beim Absägen des alten Stammes etwa zehn bis 15 cm über der Veredlungsstelle kein „Zunder”, also mürbes Holz, im abgesägten Stamm zu erkennen ist. Falls bei mehr als 30 Prozent der Stöcke Befall auf den Schnittstellen festgestellt wird, ist es nicht ratsam, die Mühen eines Stockaufbaus auf sich zu nehmen, da diese Rebanlage dann in hohem Maße latent mit Esca befallen ist. Hier können das Roden der kranken Stöcke und das Nachpflanzen mit neuen Reben sinnvoll sein, wenn die wirtschaftliche Basis der Rebanlage gegeben ist: moderner, stabiler Drahtrahmen, gute maschinelle Bewirtschaftbarkeit und passender Sortenspiegel. Ansonsten ist über eine Neuanpflanzung zu entscheiden und diese frühzeitig zu planen. Förderungen für die Umstrukturierung sind bis jeweils Ende August zu beantragen. Das gewünschte Pflanzgut und die passende Pfropfkombination müssen in die Wege geleitet werden.
 
Bodenfruchtbarkeit:
Das passende Bodenpflegemanagement verbunden mit ausgewogener Nährstoffversorgung ist fundamental für den Erhalt und die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit. Hierzu gehören im fünfjährigen Turnus das Analysieren von Bodenproben und eine danach ausgerichtete Düngung. Gerade bei physiologischen Störungen wie zum Beispiel Traubenwelke oder Stiellähme, aber auch Symptome von Nährstoffmangel sollten durch angepasste Düngung zur nächsten Vegetationsperiode ausgeglichen werden. Besonders Kalium und Magnesium haben wichtige Funktionen im Stoffwechsel der Rebe, unter anderem bei der Photosynthese und der Steuerung der Transpiration durch die Spaltöffnungen der Blätter. Gerade ein ausgewogenes Verhältnis von 2-3 Kali : 1 Magnesium ist grundlegend. Immer wieder sorgen Witterungseinflüsse wie lange Trockenphasen oder Starkniederschläge für Nährstoffverschiebungen im Boden, zum Beispiel durch Festlegung von Kalium oder Auswaschung von Magnesium. Jahrgangsspezifisch kann auch durch einen gezielten Einsatz von Blattdünger reagiert werden. Mit dem Ziehen der Bodenproben im Bereich 0 bis 30 cm kann nach der Lese begonnen werden.
Gelockerte Böden fördern Durchwurzelung
Frühe Lesen im September eröffnen ein Zeitfenster zur Bodenbearbeitung im Oktober. Das tiefe Lockern von verdichteten Böden in Verbindung mit passenden Einsaaten ergibt neue durchwurzelbare Böden, regt die Wurzelbildung an und gibt Raum, weitere Nährstoffe aufzunehmen. Das gleichzeitige Einebnen der Gassen entspannt die maschinelle Befahrbarkeit. Als Einsaaten sind sowohl klassische, bekannte Wintereinsaaten wie Roggen oder Winterwicke, aber auch fertige Weinbaumischungen wie zum Beispiel Weinbaumix oder selbstgemischte, passende Saaten zu empfehlen. In der folgenden Vegetationsperiode kann mit dem Walzen bei gutem Wachstum der Begrünungseinsaaten der Boden abgedeckt und damit die Wasserverdunstung und das Erhitzen der Oberfläche reduziert werden. Blühende Einsaaten bereichern die Biodiversität und sind Lebensraum wichtiger Insekten.
 
Fäulnisvermeidung:
Witterungsbedingte gute Blühbedingungen führen zu hohen Beerenzahlen und können bei entsprechend guter Wasserversorgung zu sehr kompakten Trauben führen. Entsprechend hoch ist das Fäulnisrisiko durch Abdrücken einzelner Beeren beziehungsweise  ganzer Traubenteile. Der Einsatz von Bioregulatoren, wie zum Beispiel Gibb 3 und Regalis, haben unterschiedliche Wirkmechanismen mit dem gleichen Ziel: Auflockerung der Traubenstruktur.
Auch die Drucklufttechnik, zum Beispiel von Sigwald oder Ero, ermöglicht es im Zeitfenster nach der Blüte, Beeren abzulösen und damit die Traubenstruktur zu lockern.
Ein entscheidender weiterer Vorteil ist das Sauberblasen der Stielgerüste und damit das Entfernen von Blütenrückständen, die als totes abgestorbenes Material attraktiv für den Botrytispilz sein können. Der Einsatz dieser Technik hat sich schon über 20 Jahre lang bewährt. Über die Parameter Luftdruck, Düsengröße und Anzahl, Nähe der Teller zum Rebstock und über die Fahrgeschwindigkeit kann die Entblätterungs-, Ausdünn- und Ausblasschärfe eingestellt werden.
Andere, in der Praxis gängige Entblätterungstechnik bieten Saug-Zupfgeräte mit optionaler Ausstattung von Gebläsen zum Ausblasen der Trauben oder, relativ neu, die Kombination von Drucklufttechnik mit Saug-Zupftechnik.
Die Klimaerwärmung und die damit einhergehenden vermehrten Hitzetage über 30 Grad führen verstärkt zu Sonnenbrand an den Trauben. Dabei werden die Beeren verkocht und im Extremfall die Stielgerüste geschädigt. Oft werden die verbleibenden Beeren nicht mehr richtig mit Nährstoffen versorgt und reifen nicht richtig aus. Dieses unreife Material führt zu erhöhtem Sortieraufwand bei der Lese oder, wenn es nicht aussortiert wird, zu negativem Einfluss auf die Weinqualität. Oft entsteht dieser Sonnenbrand noch nach Reifebeginn, also nach dem Weichwerden und Umfärben der Beeren. Das war früher so nicht der Fall. Hieraus ergeben sich Überlegungen: Wie viel Entblätterung macht Sinn? Vielleicht ist in Zukunft: „Weniger = Mehr?”
 
Pflanzenschutz bei Oidium und Kirschessigfliege.
Seit den 2010er-Jahren rückt Oidium (Mehltau) zunehmend in den Fokus. Weinbergslagen mit ungünstiger morgendlicher Abtrocknung fördern die Entwicklung des Pilzes. Auch stärkere Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht und infolge Taubildung tragen dazu bei. Weiterhin zeigen besonders empfindliche Rebsorten Befall wie Müller-Thurgau, Silvaner, Cabernet Dorsa und Chardonnay. Mittlerweile sind auch Burgundersorten wie zum Beispiel der Weißburgunder betroffen. Kleine, durch den Pilz verursachte Mikrorisse führen zu früher Fäulnisbildung und zum Verderb der Trauben. Geringste Mengen Traubenbefall im Most führen zu starken Pilz-Schimmeltönen im Wein und machen diesen unattraktiv für den Genuss.
Ein Thema, das über den Winter aufgearbeitet werden sollte: Neben der Pflanzenschutzstrategie ist besonders die Applikationstechnik zu hinterfragen und zu überprüfen. Mit einer den Witterungsverhältnissen angepassten „Sanierungsstrategie” können die befallenen Rebanlagen langfristig wieder in Ordnung gebracht werden.
Die Kirschessigfliege bereitete bei der diesjährigen Ernte große Probleme. Ihr Befall an Spätburgunder ist nicht wegzudiskutieren. Viele befallenen Essigbeeren müssen für die Rotweinbereitung aus den Trauben herausselektioniert werden. Der enorme Arbeitsaufwand führt zu hohen Kosten und gefährdet die Qualität und zukünftige Wirtschaftlichkeit. Aufgrund des späten Populationsaufbaus in den Reben ab Ende August war es unter den gegebenen Zulassungsbedingungen mit Wartezeiten von minimal zehn Tagen nicht möglich, mittels Insektizideinsatz die Fliege zu kontrollieren. Wenn keine kürzeren Wartezeiten mit entsprechenden Einsatzmöglichkeiten erarbeitet werden, ist dieses Schadpotenzial durch die Kirschessigfliege von den Winzern und Kellermeistern nicht zu managen.
An diesem Spätburgunder war die Kirschessigfliege am Werk
An den Müller-Thurgau-Trauben zeigt sich massiver Oidium-Befall.