Wein und mehr | 02. März 2017

Bulgarien: Abenteurer unter sich

Von Mathilde Hulot
Ganz im Nordwesten Bulgariens versuchen einige Winzer, ihre Träume von weinbaulicher Größe zu verwirklichen, und wollen dazu auch Touristen anziehen.
Das Weingut Burgozone gleicht einer Festung aus Beton, die über der Donau thront.
Im Nordwesten Bulgariens trifft der Durchreisende nicht gerade auf Aufbruchstimmung.  Straßen sind von Schlaglöchern durchzogen, Fabriken und Infrastruktureinrichtungen aufgegeben oder verwahrlost. Der Norden hat etwas von „Ende der Welt”. Aber es gibt in dieser Region entlang der Donau an der Grenze zu Serbien und Rumänien auch Schätze: Die befestigte Stadt Vidin, die spektakulären Felsen von Belogradchik und die prähistorische Grotte von Magura, die wegen ihrer Felszeichnungen zum UNESCO-Welterbe gehört.   
Seit Ende der Neunzigerjahre haben sich hier auch einige Abenteuerlustige niedergelassen, um Weingüter zu gründen. Die Familie Marinov zählt dazu. Sie hat auf einer Anhöhe über der Donau das Gut Burgozone errichtet. Vom Bauwerk aus blickt man auf Rumänien, das auf der anderen Seite des Flusses beginnt, und auf die Insel Esperanto, wo sich noch unter der kommunistischen Regierung jene trafen, die an die Einführung einer universellen Sprache glaubten. Zu jener Zeit war Bulgarien der weltweit fünftgrößte Weinerzeuger.  
Die Familie Marinov (im Bild Biliana zwischen ihren Eltern) hat im Norden Bulgariens ihren Traum von einem Weingut verwirklicht: Es ist das Weingut Burgozone.
Die Marinovs haben ihren Traum an einem Ort verwirklicht, an dem zur Zeit der Römer eine Festungsanlage stand. Kein Stein ist aus dieser Epoche mehr vorhanden. Hier steht jetzt ein massives Bauwerk aus nacktem Beton. Auf dem Hauptturm weht die Flagge Bulgariens im Wind. „Wir erwarten einen Finanzpartner, um die Mauern zu streichen”, erklärt Biliana Marinova. Die Frau in den Dreißigern erweckt einen beispielhaft professionellen Eindruck bei diesem Projekt, das man auch als „neureiche Verrücktheit” einstufen könnte. In ihrem Gepäck: Zehn Jahre Berufserfahrung bei der Bank UBS in Brüssel und der Abschluss Master of Business Administration (MBA) der Kedge Business School in Bordeaux. „Sehr nützlich, um neue Kontakte zu knüpfen und das Netzwerk zu pflegen”, erläutert sie in makellosem Französisch.
„Letzter Schrei” im Keller
Der Kellermeister des Weinguts Burgozone kann dank modernster Ausrüstung unter hervorragenden Bedingungen arbeiten.
Eine Gruppe Tourismusfachleute war schon da, um das Potenzial dafür zu ermitteln. Weil, trotz schwierigem Anfahrtsweg, dieses Bauwerk Besuchergruppen in Zimmern über der Kellerei beherbergen könnte. „Wir haben sogar einen Wellnessbereich”, betont die Mutter von Biliana mit leuchtenden Augen angesichts dieser Perspektiven. Die Kellereieinrichtung ist technisch der „letzte Schrei”. Das gibt dem Önologen die Freiheit, Rotweine und Weißweine unter exzellenten Bedingungen auszubauen. Der Aufbau der Rebflächen war indes nicht einfach. Es brauchte zwei Anwälte und Jahre der Auseinandersetzung, um die Parzellen zusammenzubekommen, die nach dem Zerfall der Sowjetunion rund 350 verschiedenen Eigentümern gehörten. Die Reben sind jung, sind aber nicht überall in Top-Zustand. Der Wind und die Feuchtigkeit bedrohen die Ernten. Im Eingangsbereich des Anwesens fehlen auf Parzellen schon komplette Reihen. „Wir werden sie roden und stattdessen einen Parkplatz errichten”, kommentiert Biliana. Die Familie hat französische Rebsorten gepflanzt (Pinot noir, Cabernet-Sauvignon, Cabernet franc, Merlot, Syrah, Marselan, Egiodola, Viognier und Chardonnay), dank der Beratung der Rebschule Guillaume, die zahlreiche Winzer in Bulgarien beliefert.
Daneben wurden zwei lokale Rebsorten berücksichtigt: Gamza und Tamianka. „Perfekt für unser Klima”, ergänzt dazu Biliana. Sie hat für die Weine Burgunderflaschen gewählt, die für sie am besten den Weinstil des Gutes widerspiegeln. Sie qualifiziert ihn mit dreimal F: Finesse, Frucht, Frische. 
Visionär Val Markov
„Ich spüre den Wein, ich träume den Wein”, verkündet Val Markov, Gründer des Weinguts Val, des ersten in Bulgarien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus.
Ein Stück weiter nördlich befindet sich das Dorf Granets, in dem eines von zwei Häusern aufgegeben ist. Am Ende der Ortschaft versteckt ein Portal eine Villa mit pfirsichfarbenen Wänden, ausgestattet mit einem großen Treppenaufgang, der von Säulen gesäumt ist. An der Wand prangt eine amerikanische Flagge. Val Markov, ein braungebrannter Typ mit Pferdeschwanz, gleicht einem Indianer, der einem Western entsprungen ist. „Ich liebe die Cowboys und die Indianer”, ruft er beim Eintritt in seinen kleinen Keller. „Und den Rock’n’Roll”, ergänzt er.
Val ist aus seinem Geburtsland Bulgarien im Alter von 22 Jahren geflüchtet, um für sich den amerikanischen Traum zu verwirklichen. Aber der Sturz des Kommunismus im Jahr 1990 war für ihn wie ein Rückruf seines Heimatlandes. Er kehrte zurück und entschied, im Gut Val Wein zu erzeugen. Mit 30 Hektar Fläche schätzt er, dass es das erste private Weingut nach dem Fall des Kommunismus ist. „Ich spüre den Wein, ich träume den Wein”, erklärt er. Als weiße Rebsorten hat er Riesling, Chardonnay und Sauvignon blanc im Programm. Bei den Roten bringt er die Sorten Merlot, Cabernet franc, Petit Verdot, Syrah und Gamza zusammen, um daraus die wichtigste Cuvée des Betriebes zu schaffen, den Claret.  In sehr guten Jahren entsteht ein „großer Claret”. 
Mit zwölf Hektar Reben im Eigentum und 120 Hektar Pachtflächen produziert das Gut jährlich 50000 Flaschen und verkauft den Rest als Offenwein. 90 Prozent der Produktion gehen in den Export. Aus Gamay, Spätburgunder, Roussane, Marsanne, Sorten aus Bordeaux und Rkatziteli entstehen variantenreiche Weine, die das Potenzial dieses Teils von Bulgarien belegen.  
Hintergrund: Erträge in Bulgarien
Weltweit fünftgrößter Weinproduzent und zweitgrößtes Exportland nach Frankreich: Diese Position hatte Bulgarien in der kommunistischen Ära inne. Seit dem politischen Richtungswechsel 1989 erlebt dieses Weinland, dessen Ursprünge auf die Thraker zurückgehen, eine andere Wirklichkeit. Von einst 250 000 Hektar ist die Rebfläche bis heute bis auf 60 000 Hektar zurückgegangen. Der Zustand der Reben und das launenhafte Wetter erlauben keine großen Erträge. Der Norden hat zu tun mit Kälte, mit Regen und mit Krankheiten. Laut Angaben der Europäischen Kommission erntet Bulgarien im Durchschnitt 1,2 Millionen Hektoliter pro Jahr, macht pro Hektar 20 Hektoliter Ertrag. Im Jahr 2014 gab es schwere Unwetter, das Land brachte in jenem Jahr nur 830 000 Hektoliter Wein ein. Die Gesamternte Bulgariens kommt heutzutage nie über 1,8 Millionen Hektoliter hinaus.