Nachrichten | 01. Dezember 2022

Crémant soll Piwis voranbringen

Von Petra Littner
Pilzwiderstandsfähige Rebsorten sind wesentlicher Teil der Agrarwende, sagen Martin Schmidt und Philipp Rottmann. Seit November vermarkten sie eine Piwi-Schaumwein-Cuvée.
Martin Schmidt (links) und Philipp Rottmann haben ihre Idee für einen Crémant aus Trauben von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten in die Tat umgesetzt. Sie unterstützen auch interessierte Winzer bei der Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung.
Ob Klimawandel oder Artenschutz – zunehmend stehen bislang gebräuchliche Mittel und Anwendungen, die das Gedeihen von Nutzpflanzen fördern, in der Kritik. Auch im Weinbau, der aufgrund steigender Temperaturen und invasiver Schädlinge stetig wachsenden Herausforderungen ausgesetzt ist. Begleitend dazu mehren sich die Stimmen, die den biologischen An- und Ausbau der Weine fordern. Politisch vorgegeben ist gar ein Anteil von 40 Prozent Bioweinbau bis zum Jahr 2030.
Weniger anfällige Pflanzen können die Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung wesentlich befördern. Weine, die aus pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, den Piwis, gekeltert werden, tun sich jedoch bislang in der Gunst der Verbraucher eher schwer. Da Piwi-Sorten während der Vegetationsphase bis zu 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel benötigen, sind sie ein wesentlicher Teil der Agrarwende, sagen Martin Schmidt und Philipp Rottmann. Sie haben das Piwi-Kollektiv gegründet, mit dem sie die Entwicklung vorantreiben und Traubenerzeuger bei der Umstellung unterstützen wollen.
Genossenschaftliches Vorbild
Martin Schmidt, Bio-Winzer aus Eichstetten im Kaiserstuhl, Vorstand von Ecovin Baden und Vizepräsident des Badischen Weinbauverbands, hat erst vor rund eineinhalb Jahren den Nebenerwerbswinzer Philipp Rottmann, Leiter eines nachhaltigen Start-up-Förderprogramms vom Grünhof Freiburg, kennengelernt. Schnell habe man die gemeinsamen Ideen in eine Form gegossen und umgehend in die Tat umgesetzt: Erzeuger von Piwi-Trauben werden nach dem Vorbild einer Genossenschaft unter Vertrag genommen und deren Lesegut in der Kellerei in Eichstetten verarbeitet.
Die durch Komposition der Piwisorten Souvignier Gris, Cabernet Blanc, Johanniter und Helios entstehende Cuvée reift in klassischer Flaschengärung zu einem Crémant.
10 000 Flaschen beträgt die erste Charge, die  neun Monate auf dem Hefelager reifte und ab Mitte November in den Verkauf kommt. Vier Kaiserstühler Winzer hatten dafür im Herbst 2021 ihre Trauben angeliefert. Für die zweite Auflage kamen bereits drei weitere Winzer dazu und auch aus dem Markgräflerland hätten sich inzwischen Interessenten gemeldet, erklärt Rottmann. 
Kleinstrukturen erhalten
Die Bereitschaft, auf ökologischen Weinbau umzustellen, sei durchaus vorhanden, für Mitglieder einer Winzergenossenschaft allerdings nicht so einfach und bislang nicht rentabel. Ein wichtiges Ziel des Piwi-Kollektivs sei jedoch auch, bei der Umstellung auf nachhaltigen Weinbau die regionaltypischen Kleinstrukturen zu erhalten. Diese werden in Baden zu gut 70 Prozent von Nebenerwerbswinzern bewirtschaftet, die einer Genossenschaft angeschlossen sind.
„Wir wollen keine Mauer aufbauen, sondern Traubenerzeuger, die auf Bio umstellen möchten, an die Hand nehmen”, betont Philipp Rottmann. Das Angebot versteht er als Ergänzung und man sei offen für Kooperationen mit Erzeugergemeinschaften. „Winzer sollen auch weiterhin bei ihren Genossenschaften bleiben, das Kollektiv kann jedoch Sammelstelle und Traubenabnehmer sein.”
Vom Weinbauinstitut wissenschaftlich begleitet
Das vom Badischen Weinbauverband und vom Badischen Landwirtschaftlichen  Hauptverband (BLHV) unterstützte Projekt wird vom Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg wissenschaftlich begleitet. Der Fokus liegt dabei auf der sogenannten Grünveredelung. Unter der Leitung von Ernst Weinmann wird erforscht, wie ein bestehender klassischer Rebstock ohne Ertragsverlust veredelt werden kann.
Dieter Rösch aus Weil am Rhein hat dazu an seinen eigenen Reben Pfropfreis von einer Piwi-Sorte auf einen Stock aufgepfropft, an dem schon im nächsten Jahr Trauben geerntet werden konnten. Der große Vorteil der sogenannten „Rösch-Methode” liegt auf der Hand: Reben müssen nicht gerodet werden und der Übergang erfolgt quasi nahtlos. Die Anlage sollte allerdings noch nicht zu alt sein.
Testflächen gesucht
Der Piwi-Crémant NOU ist demnächst verfügbar.
Die von Dieter Rösch im Privaten entwickelte Methode soll nun auf zwei bis drei weiteren Testflächen erprobt werden. Winzer, die dazu bereit sind, können sich bei Martin Schmidt und Philipp Rottmann unter Tel. 0176/24688686 oder per E-Mail melden. Anerkennung für die Initiative zeigt derweil auch das Land Baden-Württemberg und hat im Rahmen des EiP-Projekts Fördermittel bewilligt, mit denen zwei Stellen zur Erforschung und Standardisierung der Rösch-Methode auf den neuen Testflächen geschaffen werden können. Als Starthilfe für die gesamte Entwicklung war das Piwi-Kollektiv auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Dazu hat die Initiative ein erfolgreiches Crowdfunding-Projekt  gestartet und unter  www.piwi-kollektiv.de im Voraus den neuen „NOU Piwi-Crémant” verkauft. Das eingenommene Geld fließt direkt in den Kauf von Pflanz- und Rebmaterial, Veredelung und Umstrukturierung.