Fachliches | 30. Juni 2022

Die Trends im Weintourismus

Von Anna Maria Freitag, Projektleiterin Weintourismus, Kulinarik & Wohlsein, STG Schwarzwald Tourismus GmbH
Weintourismus ist für viele Weinbaubetriebe ein wesentlicher Vertriebskanal. Die Branche unterliegt allerdings einem stetigen Wandel und die Qualitätsansprüche der Reisenden steigen. Um den Wünschen der Gäste auch künftig gerecht zu werden, lohnt ein Blick auf die Trends der nächsten Zeit.
Szene auf dem Breisgauer Weinfest 2019
Im vergangenen Jahr  konnte sich der Weintourismus langsam von dem außergewöhnlichen Vorjahr erholen, das den Beginn der Corona-Pandemie markierte. Hotels und Gastgeber durften wieder ihre Türen öffnen, Weinbaubetriebe hießen wieder vermehrt Gäste willkommen und mitunter konnten auch wieder Weinfeste unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen gefeiert werden. Und die weiteren Aussichten lassen hoffen: Der Tourismus wird nicht nur hoffentlich bald das vorpandemische Niveau erreichen, sondern mittel- und langfristig auch zu einem Wachstum für Weinbaubetriebe beisteuern.
Das bestätigen mehrere Forschungsprojekte von Professor Gergely Szolnoki vom „Institut für Wein- und Getränkewirtschaft” der Hochschule Geisenheim. Allein in Deutschland generierte der Weintourismus vor der Pandemie einen jährlichen Gesamtumsatz von 29,9 Milliarden Euro. Die aktuellen Tourismustrends lassen sich wunderbar auch für die Weinbranche adaptieren.
Digitale Erreichbarkeit
Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung einen ordentlichen Schub gegeben: Durch Online-Tastings und Online-Shops konnten Weinbaubetriebe den Kontakt zu ihren Kunden auch bei pandemiebedingt geschlossenen Türen aufrechterhalten.
Gerade mit den digitalen Formaten wurde zudem eine neue Zielgruppe erreicht. Für einige Unternehmen hat diese Art der Kundenbindung geholfen, die Folgen der Pandemie und das Ausbleiben der Touristen besser zu überbrücken. Darum wollen auch künftig 74 Prozent der Weingüter die virtuellen Weinproben in jedem Fall weiterführen, wie eine Umfrage der Hochschule Geisenheim belegt. 
Schnell muss es gehen und einfach zu handhaben sein
Die Serviceansprüche der Gäste sind hoch: Sie erwarten rund um die Uhr schnelle und verlässliche Informationen über die Angebote, um die Planung ihrer Reiseaktivitäten zeiteffizient und so flexibel wie möglich zu gestalten. Die einfache Buchbarkeit inklusive Bezahlung ist dabei ausschlaggebend für das Kaufverhalten. Für Unternehmen kann die digitale Erreichbarkeit wiederum helfen, die verfügbaren Kapazitäten besser zu planen und zu kontrollieren.
In Baden-Württemberg bietet die touristische Datenbank mein.toubiz die Möglichkeit, die Angebote einfach und kostenlos digital zu erfassen. Dabei werden die Angebote einmalig von der örtlichen Tourist-Information oder dem Leistungsträger ins System eingetragen, um sie dem Gast auf unterschiedlichen Ausspielungskanälen jederzeit und passgenau zugänglich zu machen.
Weinerfahrung statt Weinverkostung
Auch die Weinlese gehört zu den authentischen Erlebnissen für Touristen.
Das Prinzip der klassischen Weinproben wird langfristig für den Geschäftserfolg nicht ausreichen. Der Wunsch nach einzigartigen, sogar maßgeschneiderten Erlebnissen wird immer deutlicher. Gäste möchten eine besondere Verkostung, Weine mit Geschichte oder auch die Kombination verschiedener Themen erleben, zum Beispiel eine Weinprobe unter dem Sternenhimmel, spezielle Fassverkostungen, Konzerte im Weinberg etc.
Dabei steht der Wein in seinem natürlichen sowie kulturellen Kontext im Vordergrund, weniger die technischen Details.
Von Bedeutung ist, dass über die Weinprobe hinaus ein emotionaler Mehrwert geschaffen wird. Die Besucher möchten sich nicht zum Weinkauf verpflichtet fühlen. Sie sind vergleichsweise eher bereit, Geld für ein prägendes Erlebnis auszugeben, wenn eine emotionale Bindung geschaffen wird.
Durch die Pandemie gehen die Menschen bewusster mit dem eigenen Wohlbefinden um. Deshalb ist es wichtig, sichere und gesunde Weinerlebnisse zu schaffen. Es werden zum Beispiel deutlich mehr Weinproben an der frischen Luft als im Keller nachgefragt. Auch Erlebnisse in kleineren Gruppen unter Freunden anstatt unter Unbekannten werden bevorzugt. 
Local is the new Global
Der Wein aus der Region schmeckt am besten mitten in der Region.
Durch die klimatischen Veränderungen der letzten Jahre ist das Bewusstsein für den Konsum von lokalen Speisen gewachsen. Regionale Produkte und die Erzeuger vor Ort genießen ein hohes Ansehen. Für viele Gäste sind regionale Spezialitäten ein wesentlicher Bestandteil einer Reise, nur so lässt sich schließlich eine Destination mit allen Sinnen erleben. Die Transparenz der Herkunft und Herstellung der Produkte ist deshalb ein zunehmendes Qualitätskriterium.
Der Klimawandel hat auch einige Veränderungen in die Weinberge im Hinblick auf die Bearbeitungsmethoden und Weinstile gebracht. Durch Angebote wie die Mithilfe beim Winzer oder die Fertigung eigener Weine können die Gäste die Geschichten hinter dem Produkt sowie den Menschen kennenlernen und so eine langfristige, wertschätzende Bindung schaffen.
Der badische Weintourismus wird ebenfalls vom Herkunftstrend profitieren. Reiseziele in der näheren Umgebung, die auch durch öffentliche Verkehrsmittel – mit der KONUS-Gästekarte sogar kostenlos – einfach zu erreichen sind, stehen vermehrt im Vordergrund. Dazu kommt, dass in den vergangenen zwei Jahren der Urlaub mit dem Wohnmobil an Popularität gewonnen hat.
Immer öfter werden auch Urlaub und Arbeit durch sogenannte „Workations” verbunden: Arbeiten von überall, etwa mit dem Laptop auf dem Weinberg – das ist für eine neue Kundengruppe ein ideales Ziel. Einige Weingüter bieten dafür bereits Reisemobil-Stellplätze an. Diese mobilen Reisenden verbinden den Wunsch nach einer guten technischen Ausstattung/stabilem Internet und erholsamen Freizeitelementen.
Gemeinsam sind wir stärker
Der Schwarzwald ist für Erholungssuchende immer eine Reise wert.
Da die Bedürfnisse der Gäste immer anspruchsvoller werden, wird die Schaffung passender Angebote dementsprechend komplexer. Es braucht zum einen nicht nur qualifiziertes Personal, sondern auch genügend Zeit für eine detaillierte Konzeptausarbeitung. Es ist bekannt, dass Winzer oftmals zu wenig personelle Kapazitäten haben, um sich ausgiebig solchen touristischen Entwicklungen zu widmen, da das Tagesgeschäft viel Zeit beansprucht. Aus diesem Grund sind Kooperationen im Weintourismus von sehr großer Bedeutung.
Durch die Zusammenarbeit mit Partnern aus Hotellerie, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen oder Tourist-Informationen können Synergieeffekte genutzt werden, von denen alle Beteiligten profitieren. Die Reisenden sind heutzutage sehr erfahren und über die sozialen Netzwerke gut miteinander vernetzt. Sie stehen im regelmäßigen Austausch, wodurch auch die Mund-zu-Mund-Werbung zunimmt. Diese Art der Vernetzung wird genauso von den Leistungsanbietern gewünscht.
Bedeutende Bindeglieder zwischen dem Weinbau und der Touristik sind die Weingästeführer. Sie sind bestens ausgebildet, um im direkten Kontakt mit den Gästen den Wein erlebbar zu machen, ihnen spannende Geschichten zu erzählen und die Winzer in der Kundenbetreuung zu entlasten. Als zentrale Anlaufstelle für weintouristische Gästeführer des Lan- des gilt der „Verein der Weinerlebnisführer Baden-Württemberg e.V”.
Um diese wichtige Verbindung weiter zu stärken und auszubauen, unterstützt die Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) seit einiger Zeit die Ausbildung neuer Weinerlebnisführer in Baden. Im Herbst 2022 wird die komplette Ausbildung der Weinerlebnisführer, die bislang von der „Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau” in Weinsberg organisiert wurde, erstmalig um Standorte in Baden erweitert. 
Generation Y & Z
Eine der spannendsten Zielgruppen im Tourismus der nächsten Jahre sind „Millennials”  und „Post-Millennials”, also Menschen, die nach 1980 geboren worden sind. Diese sogenannten Generationen Y und Z weisen vermehrt Interesse an kulinarischen Reisen auf, die Jüngeren finden den Weg in die Weinberge über das Thema Lifestyle. Ihr Interesse liegt vor allem an Freizeitelementen rund um das Thema Kulinarik und Wein.
Da das Weinwissen bei dieser Zielgruppe nicht besonders ausgeprägt ist, stehen die Erlebnisse rund um den Wein und weniger die Fakten über das Produkt im Vordergrund. Sie zeichnen sich durch einen spontanen Konsumgenuss aus und sind bereit, für passende Genusserlebnisse das entsprechende Geld zu bezahlen. Neue und unkonventionelle Erfahrungen, die durch eine innovative Kommunikation über die sozialen Netzwerke geteilt werden können, sind hier von Bedeutung.
Bei dieser jüngeren Zielgruppe wird auch das Interesse an alkoholfreien Weinen und Spirituosen größer. Unter dem Motto „Sober Curiosity” (Nüchtern, aber neugierig) findet sich ein spannendes Kundensegment wieder, welches sich sehr gut in den wachsenden „Nullpromille”-Markt eingliedern lässt.
 Zwischen den erwähnten Trends gibt es einige Verbindungen. Vor allem vor der Reise, in der sogenannten Orientierungsphase der „customer journey”, spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Anhand virtueller Führungen, Online-Degustationen und Informationen im Netz werden Reiseziele und Aktivitäten gewählt. Sobald die Gäste vor Ort sind, möchten sie jedoch den Gegentrend erfahren: Weg vom Digitalen, hin zur Natur, hin zum „Echten”. Gerade deswegen möchten die Gäste auch in Kontakt kommen mit regionalen Erzeugern und Produzenten, um das Reiseziel in allen Facetten kennenzulernen.