Wein und mehr | 02. September 2016

Von der Mitte der Erde

Von Thierry Joly
Zwei Güter beschäftigen sich in Ecuador mit der Erzeugung von Wein – das eine in den Bergen, das andere auf Meereshöhe, nahe der Pazifikküste. Erfolg hat sich eingestellt.
Das Gut Chaupi Estancia sieht an seinem jetzigen Standort keine Erweiterungsmöglichkeiten, weil seit Eröffnung des neuen Flughafens von Quito die Bodenpreise explodiert sind.
Obwohl das Land einst eine spanische Kolonie war, hat sich in Ecuador nie eine besondere Weinbautradition eingestellt. Dick Handal, ein US-Amerikaner, gründete 1988 das erste moderne Weingut mit Namen Chaupi Estancia. Anfangs als reines Hobby betrachtet, dauerte es zur Vermarktung von Flaschenwein bis zum Jahr 2000. Die insgesamt sechs Hektar Reben, davon drei im Ertrag, befinden sich im Tal von Yaruqui, 50 Kilometer westlich der Hauptstadt Quito. Die Nähe zum Äquator, er ist nur zehn Kilometer entfernt, und die Höhe von 2400 Metern sorgen dafür, dass sich die Temperaturen im Jahresverlauf in einer Bandbreite zwischen drei und 25 Grad Celsius bewegen.
Vier Jahreszeiten in 24 Stunden
Jorge Duran, Agraringenieur und Chef von Chaupi Estancia, testet verschiedene Rebsorten auf Ihre Eignung für die örtlichen Klimaverhältnisse.
„Europäische Bedingungen, wenn man mal davon absieht, dass wir die vier Jahreszeiten an einem Tag erleben können. Außerdem sind seit etwa 15 Jahren die Sommer und die Winter weniger ausgeprägt. Das Klima ist insgesamt weniger vorhersehbar geworden und Hagel ist hier schon aufgetreten. 2014 hat er 20 Prozent der Ernte zerstört”, berichtet Agraringenieur Jorge Duran, der Chaupi Estancia leitet. Jorge Duran kultiviert  insgesamt 32 Rebsorten, alle in einer Pflanzdichte von 3000 Rebstöcken/Hektar. Den weitaus größten Anteil der Rebfläche nehmen jedoch lediglich fünf Rebsorten ein, in der Reihenfolge Palomino mit zwei Hektar, Spätburgunder, Malvasier, Barbera und Sangiovese.
Alle Parzellen verfügen über Tropfbewässerung. Die Angriffe von Oidium, Peronospora und Botrytis machen mindestens vier Behandlungen pro Vegetationszyklus nötig. Aber das Hauptproblem bleibt die Wechselhaftigkeit des Wetters, die letztlich für erhebliche Ertragsschwankungen sorgt. „Wir erreichen drei bis vier Tonnen je Hektar, wenn alles gut geht. In einer schwierigen Saison kann es auch mal nur die Hälfte sein oder noch
Reben unter Zelt werden bei Chaupi Estancia angebaut, als Schutz vor Regen und Vögeln.
weniger, wenn es während der Blüte andauernd stark regnet”, erklärt Jorge Duran. Allerdings erntet dieser Winzer zweimal pro Jahr Spätburgundertrauben – einmal im Januar, einmal im August. Dafür schneidet er die Reben unmittelbar nach der Ernte und bringt dann Dormex (Wachstumsregler) auf die Reben aus, um den Austrieb der schlafenden Augen voranzutreiben und zu vereinheitlichen. „Ohne Dormex müssten wir uns mit verschiedenen Entwicklungsstadien der Reben zur gleichen Zeit beschäftigen”, erläutert er hierzu.
Eine zweite Lese im Jahr ist in Dos Hemisferios, dem zweiten Weingut
Ecuadors, die Regel. Es liegt 50 Kilometer westlich von Guayaquil, in der Ebene zur Pazifikküste hin. In dieser Region ist das Klima tropisch, mit Temperaturen zwischen 15 und 30 Grad und 600 Millimeter Regen pro Jahr, die sich zwischen Januar und April konzentrieren. „Das Meer ist nur 15 Kilometer entfernt und bringt erfrischende Winde”,
Mitarbeiter von Dos Hemisferios bereiten in Fässern Düngerzugaben für die Tropfbewässerung vor.
betont Pablo Taramelli, der das Gut 2005 gründete. Er pflanzte seinerzeit insgesamt sechs Hektar Cabernet Sauvignon, Merlot, Malbec und Chardonnay in einer Dichte von 3750 Rebstöcken je Hektar. Im August 2014 pflanzte er weitere 32 Hektar: die gleichen Sorten und zusätzlich Tempranillo, Sangiovese, Petit Verdot und Carménère. „Die Produktion reichte einfach nicht mehr  aus, um die Nachfrage zu bedienen”, erklärt Pablo Taramelli, der die Hälfte seiner Flaschen über eine Supermarktkette absetzt.  
Dank der klimatischen Verhältnisse erbrachten die neuen Pflanzen von Cabernet Sauvignon im Dezember 2015 die ersten Trauben. Je nach Sorte erreichen die Erträge zwischen 8,5 und 12 Tonnen je Vegetationszyklus. Pablo schätzt, dass er Ende 2017 seine volle Produktionskapazität erreicht, mit einer erwarteten Ernte von jährlich 760 Tonnen.
Knoblauchwasser gegen Fledermäuse
Pablo Taramelli, der Gründer des Weinguts Dos Hemisferios, in seinen Trauben nahe der Pazifikküste.
„Die Trauben vom Dezember haben eine bessere Qualität und sind leichter zu produzieren als jene, die während der Regenzeit (von Januar bis April) zur Reife kommen. Aber wir können bei der Lese nicht zuwarten. Wenn wir sie zu lange hinausziehen, fressen uns die Vögel zehn Prozent weg. Zum Schutz werde ich mich sehr wahrscheinlich mit Netzen ausstatten müssen”, ergänzt er. Noch verfressener sind die Fledermäuse. Pablo hat sie schon auf Abstand gehalten, indem er eine Mischung aus Wasser und Knoblauch versprühte. In der Trockenzeit brauchen die Reben zwei- bis dreimal pro Woche für je zwei bis drei Stunden Tropfbewässerung. „Glücklicherweise ist das Wasser nicht teuer”, erwähnt Pablo erleichtert. Die zwei Weingüter verfügen jeweils über klimatisierte Keller, dessen moderne Ausrüstung und Fässer aus Chile, Argentinien und den USA importiert wurden, ebenso wie die Flaschen und die Verschlüsse. Derzeit noch in Guayaquil befindlich, wohin die Trauben per Kühllaster transportiert werden, soll der   Keller im September zu den Reben verlegt werden. Dort soll dann auch ein Empfangsbereich für Touristen eingerichtet werden. Auch über den Export wird nachgedacht, „in Richtung USA und Niederlande, wo wir aussichtsreiche Kontakte haben”. Pablo schließt weitere Pflanzungen nicht aus – er hat noch Fläche in Reserve. Diese Möglichkeit hat Chaupi Estancia nicht, auch wenn die Produktion nur 5000 bis 10000 Flaschen pro Jahr erreicht. „Wenn wir uns vergrößern, wird es woanders sein, weil im Tal von Yaruqui die Bodenpreise explodiert sind, seit der Eröffnung des neuen Flughafens von Quito im Jahr 2013”, erläutert Jorge Duran.

 
Kaum Gewicht am Markt
Die Weine von Dos Hemisferios wurden zwar schon dem ecuadorianischen Präsidenten und ausländischen Staatschefs serviert, jedoch wissen nur wenige Ecuadorianer, dass ihr Land überhaupt Wein produziert. „Und die anderen vertrauen mehr den Weinen aus Chile oder Argentinien. In den Feinkostläden und den Restaurants, wo unsere Weine verfügbar sind, sind  unsere  Kunden  überwiegend Ausländer”, unterstreicht Jorge Duran, Chef von Chaupi Estancia, der Schüler und Studenten empfängt, um seine jungen Landsleute über den Weinbau im Land aufzuklären. Außerdem schwächen Steuern, die mehr als 50 Prozent der Verkaufspreise vor Ort (zwischen 5,30 Euro und 18 Euro Endverbraucherpreis) ausmachen, die Wettbewerbsfähigkeit der zwei Weingüter. „Der Staat will die nationale Produktion voranbringen, aber unsere kleine Branche wird dabei übersehen”, beklagt Pablo Taramelli, der Gründer von Dos Hemisferios.