Wein und mehr | 06. Juli 2020

Exotische Nordlichter

Von Thierry Joly
Trotz eines schwierigen Klimas erzeugen einige Weingüter in den Niederlanden Weine von Qualität, um die sich Privatkunden und Restaurantbetreiber reißen.
Bei dieser Landschaft kommen einem nicht gleich die Niederlande in den Sinn: Rebflächen des Weinguts Apostelhoeve.
Mit seinen Talmulden, Wäldern, Wiesen und Getreidefeldern ist Limburg weit entfernt von dem Bild, das man sich von den Niederlanden gemeinhin macht. Umso mehr, da man hier auf Hügeln Weinbau antrifft. „Es ist eine Wiedergeburt, weil es hier zur Römerzeit und im Mittelalter bereits Reben gab”, versichert Mathieu Hulst, Eigentümer von Apostelhoeve, dem ältesten Weingut des Landes, das sich am westlichen Rand von Maastricht befindet.
„Mein Vater, von Haus aus Obstbauer, hat 1970 die ersten Reben gepflanzt. 1985 haben wir beschlossen, Winzer zu werden, und seit 2000 ist das unser einziger Betriebszweig”, erzählt er.
Mit Pflanzdichten von 4300 bis 5500 Rebstöcken je Hektar sind seine 13 Hektar bestückt mit Grauburgunder, Riesling, Auxerrois und Müller-Thurgau. Mit der Maschine geerntet, erbringen sie zwischen 50 und 85 Hektoliter je Hektar. „Ich verzichte auf Rote, weil der Mangel an Sonne es nicht erlaubt, jedes Jahr gute Weine daraus zu erzeugen”, erläutert er.
Nordischer Weinstil
Mathieu Hulst, der seine Ausbildung in Deutschland absolvierte, möchte es mit weiteren Sorten versuchen wie Gewürztraminer, Silvaner und Weißburgunder. Zudem plant er, auf den zwei Hektar Reben, die er dieses Jahr gepflanzt hat, eine Tröpfchenbewässerung zu installieren. Und er betont: „Ich möchte weiterhin Weine im ,nordischen Stil‘ machen – frisch und fruchtig.”
Er erzeugt Rebsortenweine und zwei Schaumweine. Einer der Schaumweine besteht zu 100 Prozent aus Riesling, der andere ist ein Verschnitt aus den drei anderen Rebsorten. Echter und Falscher Mehltau erfordern zehn bis zwölf Behandlungen. Seit 2013 hat er auch mit Dachsen zu tun, die sich an den Trauben gütlich tun.
Dasselbe Problem hat auch Jules Nijist, wenige Kilometer nördlich von Maastricht. „Da es eine geschützte Art ist, bekommen wir eine kleine Entschädigung vom Staat”, erläutert der ehemalige Ingenieur bei Philips. Er hat in mehreren Ländern Praktika absolviert, um den Weinbau zu erlernen, und dann 2008 das Weingut De Wijngaardsberg übernommen. Mittlerweile bewirtschaftet er drei Hektar. „Ich werde noch 30 Ar dazupflanzen. Aber nicht mehr, weil ich alles alleine machen will”, betont er.
Mathieu Hulst erzeugt auf dem Weingut Apostelhoeve in der Nähe von Maastricht ausschließlich Weißweine, weil rote Trauben nicht jedes Jahr die gewünschte Qualität erreichen. Es mangelt ihnen manchmal an Sonne.
Jules Nijst erzeugt Rebsortenweine von Spätburgunder, Grauburgunder, Auxerrois und Chardonnay sowie einen Sekt aus Chardonnay. Auf einem Hektar stehen bei ihm 4500 Rebstöcke. „Ich habe den Zeilenabstand auf 2,2 Meter festgelegt, damit die Trauben im September eine halbe Stunde Sonne zusätzlich pro Tag abbekommen”, so Nijst. Er setzt zudem auf frühe Entblätterung und schneidet den unteren Teil der Trauben aus Gründen der Pflanzengesundheit ab. „Das macht viel Arbeit, aber es vermindert das Botrytis-Risiko”, erläutert Jules Nijst, der die Reben sechs- bis siebenmal behandelt und einen Ertrag von 40 bis 45 Hektoliter pro Hektar anstrebt. „In den Niederlanden können wir nicht billig produzieren. Wir müssen daher mit Qualität aufwarten, um die Preise zu rechtfertigen. 98 Prozent der Flaschen, die im Land verkauft werden, kosten dennoch unter zehn Euro”, ergänzt der Winzer.
De Kleine Schorre
Wilco Venhuizen vom Weingut Bilderhof setzt auf Weine von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, darunter auch Freiburger Züchtungen des Staatlichen Weinbauinstitutes.
Ein anderes bekanntes Weingut, De Kleine Schorre, befindet sich im Westen der Niederlande auf der Insel Schouwen-Duiveland im Delta von Schelde-Maas-Rhein. „Mein Vater baute Gemüse an. Weil die Preise dafür sanken, haben wir uns 2001 dem Wein zugewandt. Ich habe den Beruf in Luxemburg gelernt, bei Cep d’Or”, erzählt Johan van de Velde, der das Gut gemeinsam mit seiner Frau Paula van de Vijver führt.
Seine zehn Hektar sind bestockt mit Müller-Thurgau, Auxerrois, Weißburgunder und Grauburgunder. Sie wachsen in Pflanzdichten von 5000 Stöcken je Hektar auf sehr kalkhaltiger Erde, was von Muschelablagerungen herrührt. Jede zweite Reihe ist begrünt.
Die Zahl der Behandlungen beläuft sich lediglich auf vier. „Unsere Region ist die mit dem wenigsten Regen und der meisten Sonne der Niederlande – und die Meeresbrise belüftet die Reben”, erklärt Johan van de Velde. Er begrenzt den Ertrag auf 50 bis 60 Hektoliter je Hektar. „Wir erzeugen einen Sekt und Stilweine, die lebendig und frisch sind und daher die Meeresfrüchte der Region sehr gut begleiten.” Eine Vermählung, die die Besucher im Weingutsrestaurant am Platz genießen können.  
Gemeinsamkeiten
Jules Nijst vom Gut De Wijngaardsberg ist Mitbegründer der Ursprungsbezeichnung Mergelland, die nur Vitis-vinifera-Reben erlaubt.
Diese drei Weingüter haben einige Gemeinsamkeiten. Sie verfügen über moderne Kellertechnik mit pneumatischen Pressen und Temperatursteuerung der Tanks. Sie haben aber wenige Fässer. „Unsere Weine vertragen nur wenig Holz”, sagt Johan van de Velde. Versekten lassen sie bei Dienstleistern in Deutschland oder in Luxemburg.
Vor allem aber setzen die Winzer ihre Weine ohne Probleme zu Verbraucherpreisen zwischen 12 und 25 Euro je Flasche ab. Zwischen 10 und 25 Prozent werden direkt ab Keller verkauft, der übrige Teil geht an besondere Wahlkundschaft. Johan van
de Velde verkauft so ein Viertel seiner 150.000 Flaschen an die Fluglinie KLM für ihre Businessklasse und die Hälfte an Restaurants, die er selbst beliefert. Bei Jules Nijst machen Händler 20 bis 25 Prozent der Verkäufe aus und Restaurants 65 Prozent, darunter sind laut Jijst insgesamt 20 Michelinsterne. Bei Mathieu Hulst werden die 200.000 Flaschen ab Juni verkauft oder bestellt. Dieser Winzer empfängt zudem 12000 Touristen jährlich.