Fachliches | 07. Februar 2021

Gekommen, um zu bleiben

Von Holger Klein, Stellvertretender Geschäftsführer des Badischen Weinbauverbandes
Digitale Kommunikationswege haben Weinbaubetrieben im Lockdown eine Möglichkeit geboten, den Kontakt zum Kunden aufrechtzuerhalten. Wie die badischen Winzer diese genutzt haben, zeigt eine stichprobenartige Umfrage des Badischen Weinbauverbandes.
Der Weinkonsum in Deutschland ist während der Corona-Krise tendenziell gestiegen – was nicht unbedingt zu erwarten war.
Die aktuellen Zahlen der Trinkweinbilanz des Deutschen Weinbauverbandes bieten durchaus Anlass für Optimismus, zumindest auf den ersten Blick. Denn die Konsumbilanz weist für den Zeitraum August 2019 bis Juni 2020, also auch während der ersten Corona-Monate, einen um 0,6 Liter angestiegenen Pro-Kopf-Verbrauch an Wein aus. Das entspricht einem Zuwachs von rund drei Prozent.
Allerdings umfasst der rechnerische Pro-Kopf-Verbrauch an Wein – durchschnittlich 20,7 Liter je Einwohner – auch die konsumierten Weine ausländischer Herkunft. Es ist also davon auszugehen, dass nicht nur heimische Weine von der positiven Entwicklung profitiert haben.
Dennoch scheint die Weinbranche vergleichsweise glimpflich durch das Krisenjahr 2020 gekommen zu sein. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) beziffert das Wachstum beim Weinabsatz sogar auf satte 13 Prozent. Die Nürnberger konzentrieren sich in ihrer Betrachtung allerdings hauptsächlich auf den Handel und weniger auf den Direktvertrieb. Stellt man Absatz- und Umsatzzahlen gegenüber, dann scheint der Zuwachs mehrheitlich im unteren und mittleren Preissegment stattgefunden zu haben. Das ist mit Blick auf die Wertschöpfung in den Weinbaubetrieben eher kritisch zu bewerten.
Krise als Treiber der Digitalisierung
Da die Weinbaubetriebe 2020 mit Einschränkungen in Gastronomie und Fachhandel konfrontiert waren, ist davon auszugehen, dass insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel für die positive Weinkonsumbilanz verantwortlich ist. Nur steht dieser Absatzkanal längst nicht jedem Vermarkter zur Verfügung. Um also eine positive Bilanz ziehen zu können, mussten viele Betriebsinhaber ihre Vertriebsaktivitäten intensivieren und teilweise sogar komplett umstellen. Gerade die Unternehmen, die bis dato schwerpunktmäßig in der Gastronomie und im Direktverkauf aktiv waren, sahen sich durch die Lockdown-Maßnahmen vor ein Problem gestellt.
Nicht genug, dass ein etablierter Vertriebszweig zeitweise komplett ausfiel – von einem Tag auf den anderen konnten auch keine Weinproben und Jahrgangsverkostungen mehr stattfinden. Auch Fach- und Verbrauchermessen mussten abgesagt werden; von Weinfesten, Weinproben und sonstigen am Endverbraucher orientierten Veranstaltungen ganz zu schweigen. Doch viele Betriebsinhaber haben sich dieser Herausforderung gestellt und sind neue Wege gegangen.
Kurzerhand wurde ein Teil des Sortiments zur Verkostung in Kleinflaschen gefüllt und versendet, Online-Shops wurden neu aufgesetzt, Lieferkonditionen wurden optimiert. Es wurde über Mailings und soziale Medien geworben. Die Betriebe haben Online-Weinproben für sich entdeckt, um den Kontakt zum Kunden aufrechtzuerhalten.
Die Entwicklung in Baden
Für viele Weingüter war es das erste Mal, dass sie sich strategisch mit der Kundenkommunikation auf digitalen Wegen beschäftigt haben. Und weil das Engagement groß und die Lernkurve steil war, kann man sagen, dass sich die Corona-Krise positiv auf die Digitalisierung in der Weinvermarktung ausgewirkt hat. Die GfK sieht den Online-Handel folglich als den mit Abstand größten Gewinner des Jahres 2020, schließlich konnte er im Vergleich zum Vorjahr um über 70 Prozent zulegen. Wobei man nicht unerwähnt lassen sollte, dass die Online-Umsätze mit Wein zuvor prozentual nur einen niedrigen einstelligen Teil des Gesamtumsatzes im Weinhandel ausgemacht hatten. Erfreulich für die Erzeuger: Im Online-Handel wird durchschnittlich dreimal mehr für eine Flasche Wein ausgegeben als im klassischen LEH.
Wie sich die digitale Weinvermarktung in Baden entwickelt hat, auf welche Medien die Winzer in ihrer Kommunikationsstrategie setzen und welche davon sie auch in Zukunft nutzen werden, hat der Badische Weinbauverband im Rahmen einer nichtrepräsentativen Online-Befragung unter seinen Mitgliedsbetrieben in Erfahrung gebracht.
Dazu wurde ein Online-Fragebogen an rund 400 Mitglieder versendet, und obwohl die Betriebsinhaber nur rund eine Woche Zeit für das Beantworten hatten, war die Rückmeldequote mit 15 Prozent – 60 beantwortete Fragebögen – recht hoch. An der Umfrage beteiligten sich sämtliche Altersgruppen, Betriebsformen und -größen. Knapp zwei Drittel der Befragten waren selbstvermarktende Weingüter, ein Drittel Genossenschaften und rund acht Prozent Kellereien sowie Erzeugergemeinschaften. Die Betriebsgrößen lassen sich zu je rund einem Drittel in die Gruppen bis zehn Hektar, bis 50 Hektar und mehr als 50 Hektar unterteilen. Zusätzlich zu den Betrieben wurden auch Kommunikationsagenturen, die sich auf die Beratung von Weinbaubetrieben spezialisiert haben, zu ihrer Einschätzung befragt.
Bedeutung der Absatzkanäle
Zum Einstieg in die Befragung sollte geklärt werden, in welchen Absatzkanälen die Betriebe hauptsächlich aktiv sind, siehe Abbildung 1, und welche Bedeutung Messen und Veranstaltungen für sie haben. Wie zu erwarten war, ist der Anteil der Direktvermarktung bei den Weingütern bei differenzierter Betrachtung der unterschiedlichen Unternehmensformen etwas ausgeprägter als bei den Winzergenossenschaften.
Für fast 98 Prozent der Weingüter ist der Direktverkauf eine der drei wichtigsten Absatzkanäle, gefolgt vom Fachhandel (70,3 %) und der Gastronomie (67,6 %). Die Vermarktung über den LEH spielt bei den Weingütern erwartungsgemäß eine etwas geringere Rolle als bei den Winzergenossenschaften. Bei diesen steht dieser Vermarktungskanal klar an erster Stelle. Fast 90 Prozent der Winzergenossenschaften nennen den LEH (ohne Discount) als wichtigen Absatzkanal, gefolgt von Direktvermarktung (83,3 %) und Gastronomie (72,2 %).
Im Vergleich zu den Weingütern wird der Online-Handel von Winzergenossenschaften häufiger als wichtiger Absatzkanal genannt. Was die Zahlen ebenfalls belegen, ist die Bedeutung von Gastronomie und Fachhandel, und zwar für alle Betriebsformen. Die Inhaber hatten also 2020 einiges zu tun, um die fehlenden Umsätze in diesen beiden Kanälen zu kompensieren. 
Wege zum Kunden
Der direkte Kontakt zum Kunden bleibt auch in Corona-Zeiten wichtig.
Eine weitere Herausforderung im Corona-Jahr war es, die Kunden, egal ob privat oder geschäftlich, überhaupt zu erreichen. Denn die in der ersten Jahreshälfte stattfindenden Messen und Jahrgangspräsentationen mussten größtenteils ausfallen. Rund 85 Prozent der Betriebe mussten nach eigenen Angaben auf fast alle üblichen Veranstaltungen verzichten, weitere 8,5 Prozent konnten coronabedingt an mehr als der Hälfte der geplanten Veranstaltungen nicht teilnehmen.
Insbesondere für die größeren Betriebe mit mehr als 20 Hektar bedeutete das eine große Einschränkung in Bezug auf Kundenpflege und Neukundengewinnung. Über die Hälfte dieser Betriebe musste zehn und mehr Veranstaltungen aus dem Jahreskalender streichen.
Wie wichtig der persönliche Kontakt nach Meinung der Betriebsinhaber für die Kundenbindung ist, sollte die nächste Frage zeigen. Hier führen Weinproben klar die Rangliste an. 89 Prozent halten sie für wichtig – 32 Prozent davon sogar für sehr wichtig. Zehn Prozent sind sich in dieser Frage unschlüssig. Bei Messen fällt diese Bewertung schon etwas kritischer aus. Zehn Prozent der Befragten halten sie für eher unwichtig oder unwichtig, 24 Prozent sind unentschlossen. Für 66 Prozent sind Messen allerdings auch nach den Erfahrungen im Corona-Jahr ein wichtiges oder sehr wichtiges Kontaktmedium. Weinfeste werden im Vergleich dazu nur von 57 Prozent als von Bedeutung für die Kundenbindung angesehen.
Die Mischung macht’s
Was alle drei Formate eint, ist die Tatsache, dass sie in Zeiten des Lockdowns nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden konnten. Deshalb mussten sich die Winzer zeitnah Gedanken über Alternativen machen. Das hat auch Felix Eschenauer von der Agentur Buero Medienagenten beobachtet. Demnach hat die Nachfrage seiner Kunden nach Entwicklung und Ausbau von Online-Shops direkt mit dem 15. März 2020 eingesetzt.
Für Eschenauer sind die „neuen” Kommunikationswege allerdings nur Mosaikteilchen der Gesamtkommunikation. Mit Blick auf sich ändernde Absatzkanäle empfiehlt er seinen Kunden einen Mix aus Ab-Hof-Verkauf, direkter Belieferung der Gastronomie, Online- und stationärem Handel sowie Export, der oft vernachlässigt wird.
Stichwort: Diversifikation. Sie hilft, Risiken zu streuen und so Einbrüche in einzelnen Absatzkanälen zu kompensieren. Dass viele Betriebe in Baden ihren Vertrieb bereits diversifiziert haben, konnte die vorliegende stichprobenartige Befragung bestätigen. Lediglich der Export spielt bisher eine sehr untergeordnete Rolle und wurde deshalb in der Befragung auch nur vereinzelt genannt.
Auf welche Alternativen zur Kundenansprache die Winzer gesetzt haben und welche dieser Maßnahmen sie auch nach der Krise weiterhin nutzen wollen, sollte der nächste Fragenkomplex zeigen. Ganz vorne bei den Instrumenten zur Kundenansprache, siehe Abbildung 2, liegt das traditionelle Post-Mailing, gefolgt vom digitalen Mailing (Newsletter) – übrigens bei Genossenschaften und Weingütern gleichermaßen. Beide Formate werden von jeweils mehr als 70 Prozent der Betriebe und durchaus auch parallel genutzt.
Online-Shops ausgebaut
Nicht weiter verwunderlich ist, dass die Betriebe, die ein digitales Mailing nutzen, auch eher zu Online-Weinproben oder anderen digitalen Veranstaltungen tendieren und auch etwas häufiger Online-Shops betreiben. Das Alter der Befragten lässt wenig Rückschlüsse darauf zu, ob digitale oder postalische Mailings genutzt werden.
Mit fast 50 Prozent liegen Online-Weinproben an dritter Stelle der genutzten Alternativen, gefolgt vom Probenversand (32 %), Social-Media-Filmen (29 %) und digitalen Veranstaltungsformaten (27 %).
Online-Weinproben wurden von der Mehrheit der Befragten auch als die Kontaktmöglichkeit genannt, die vor Corona kaum genutzt worden ist, aber beibehalten werden soll, gefolgt von Online-Shops und Mailings. Das könnte auch darauf zurückzuführen, dass diese beiden Formate bereits etabliert sind. So gaben rund 75 Prozent der Befragten an, bereits vor der Corona-Krise einen eigenen Online-Shop betrieben zu haben. Etwa ein Viertel davon hat den Shop allerdings im Zuge der Corona-Einschränkungen aktualisiert oder ausgebaut.
Weitere 15 Prozent der Befragten nehmen die Entwicklungen zum Anlass, sich gedanklich mit dem Thema auseinanderzusetzen oder einen Online-Shop vorzubereiten. Auffällig war, dass immerhin fünf Prozent der Betriebe keine der möglichen digitalen Formate nutzen wollen. So kommt auch die Nutzung eines Online-Shops für neun Prozent der Befragten nicht infrage. Im Besonderen trifft das auf Kleinst- und Kleinbetriebe zu, was in den Kosten für die Entwicklung und das Betreiben des Shops begründet sein könnte. Für diese kleinen Betriebe ist die direkte und persönliche Kundenansprache das Mittel der Wahl. Viele der mittleren und größeren Betriebe hingegen wollen künftig intensiver digitale Formate nutzen.
Nähe zum Kunden
Gute Chancen für Online-Weinproben auf YouTube oder als Live-Stream sieht daher auch Marco Göbel, Inhaber der Agentur Wineworlds. Das persönliche Erlebnis und der Austausch von Angesicht zu Angesicht werden, seiner Meinung nach, durch die digitale Aktivität zwar nie ersetzt werden können, aber mithilfe von Videos können Winzer trotz des „Social Distancing” viel Nähe zum Kunden aufbauen.
Natürlich fallen für die Entwicklung und Pflege digitaler Kommunikationskanäle und Online-Shops auch Kosten an. So gaben immerhin 50 Prozent der befragten Betriebe an, im Jahr 2020 etwas mehr (32 %) oder deutlich mehr (18 %) in den Kontakt zum Kunden investiert zu haben. Bei 30 Prozent sind die Ausgaben in etwa gleich geblieben und 20 Prozent konnten die Kosten sogar minimieren.
Ob geringeren Kosten letztlich auch geringere Umsätze gegenüberstehen, war nicht Gegenstand der Befragung. Allerdings scheint sich die Investition in den Online-Shop für die Mehrheit der Betriebe ausgezahlt zu haben. 68 Prozent berichten von deutlich gestiegenen Umsätzen im Online-Bereich. Bei 22 Prozent sind die Umsätze immerhin leicht gestiegen, und die restlichen zehn Prozent berichten von keiner oder einer leicht negativen Entwicklung.