Fachliches | 30. April 2016

Genossenschaften und Weintourismus

Von Jens Rüdiger, Masterstudent im Bereich Önologie an der Justus-Liebig-Universität und Hochschule Geisenheim
Aufgrund des zunehmenden nationalen und internationalen Wettbewerbs muss sich die deutsche Weinwirtschaft neue Diversifikationsmöglichkeiten erarbeiten. Eine ist der Weintourismus. Haben auch deutsche Winzergenossenschaften die Möglichkeit, dieses Potenzial für sich zu nutzen?
Insgesamt gesehen hat sich der Weintourismus in den vergangenen Jahren in Deutschland zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor in der Weinbranche entwickelt.
Beispielsweise wird im Weinanbaugebiet Franken dem weintouristischen Dienstleistungsumfeld eine Verzehnfachung des eigentlichen Weinumsatzes zugeschrieben.
Bedeutung der Winzergenossenschaften
Weintouristische Aktivitäten von Winzergenossenschaften oder Weingütern haben einen positiven Einfluss auf den Direktverkauf. Über 90 Prozent der Geschäftsführer sehen einen direkten Zusammenhang. 89,19 Prozent meinen, dass sie vom Trend des Weintourismus profitieren.
Bezogen auf die Akteure der deutschen Weinwirtschaft spielen dabei die Winzergenossenschaften eine bedeutende Rolle, denn mit ihren Mitgliedern verantworten sie ein Drittel der gesamten deutschen Weinproduktion. Allerdings sank in den letzten 20 Jahren sowohl die Zahl der deutschen Winzergenossenschaften wie auch der Umsatz im Ganzen. Die Winzergenossenschaften verloren fast 10000 Hektar Anbaufläche und rund 20 Prozent Marktanteil. In diesem Spannungsfeld stellt sich die Frage, inwieweit Winzergenossenschaften an dem Trend des Weintourismus, den damit verbundenen Direktabsatzmöglichkeiten und den Möglichkeiten der Diversifizierung partizipieren. In einer Untersuchung an der Hochschule Geisenheim wurde das in der Literatur noch neue Phänomen beleuchtet. 
Online-Umfrage mit direkter Befragung kombiniert
Bei der Umfrage wurden die Geschäftsführer der Winzergenossenschaften der beiden Weinanbaugebiete Baden und Württemberg anhand eines standardisierten Online-Fragebogens befragt. An der Befragung nahmen 37 der 45 kontaktierten Betriebe teil. Um die Ergebnisse der quantitativen Befragung in das weite Feld des Weintourismus einzuordnen und auch unterschiedliche Blickwinkel einzubinden, wurden einige Geschäftsführer weitergehend persönlich interviewt.
Direktverkauf kann gesteigert werden
Um den Bezug von Winzergenossenschaften zum Weintourismus zu eruieren, wurde in der Befragung erhoben, ob weintouristische Aktivitäten einer Winzergenossenschaft generell Einfluss auf den Direktverkauf haben. Hier zeigte sich, dass über 90 Prozent einen direkten Zusammenhang sehen. Bei der Frage, ob sie vom Trend des Weintourismus profitieren, bestätigten 89,19 %, dass sie wirtschaftlich profitieren. 2,7 % verneinten die Frage und 8,11 % haben dies nicht wahrgenommen. Um die Antworten zu konkretisieren, wurde gefragt, in welcher Form sich dieser ökonomische Einfluss äußert. Dabei bestätigten sich die Aussagen der ersten Frage, dass 90,91 % einen erhöhten Direktverkauf feststellten, bei 63,64 % stieg die Zulieferung an die Gastronomie, 42,42 % nahmen vermehrte Veranstaltungen in der Region wahr, die sie beliefern, und 63,64 % haben einen vermehrten Zulauf bei hauseigenen Veranstaltungen. Zur Einschätzung der Gewichtung des Weintourismus in den Winzergenossenschaften wurde der Anteil des durch Weintourismus generierten Direktabsatzes prozentual zum Gesamtumsatz erhoben. Bei den 22 von den Teilnehmern abgegebenen Angaben zeigte sich, dass bei einem Mittelwert von 12,36 % – bei einer Standardabweichung von 11,85 – der Anteil sehr individuell von der Betriebsgröße abhängt. Vor allem kleinere Winzergenossenschaften sind auf das Marketinginstrument Weintourismus angewiesen.
Beim Angebot der Winzergenossenschaften zeigte sich, dass die Klassiker Weinproben, Weinwanderungen, Kellerführungen und Hoffeste bei den meisten Winzergenossenschaften auf dem Programm stehen. Allerdings sind weitergehende Angebote wie beispielsweise Kinderspielplätze Mangelware.
Für den Ausbau des Erfolges touristischer Weinangebote für die Verbraucher sind neuere Aktivitäten wie Weinausschank in den Weinbergen, Kulturveranstaltungen (beispielsweise Lesungen im Weinkeller), thematische Weinproben (etwa Wein und Schokolade) und thematische Hoffeste (unter anderem Advent in der Winzergenossenschaft) ausschlaggebend. Sie werden nur langsam adaptiert.
Keine extra Wertschöpfung
Für viele Weingüter stellen weintouristische Aktivitäten einen eigenen Bereich der Wertschöpfung dar. Die Aussagen der persönlichen Gespräche belegen, dass für Winzergenossenschaften Weintourismus nur als Marketinginstrument dient, denn es wird gezielt keine eigene Wertschöpfung durch die Veranstaltung generiert. Alle Befragten trafen in dieser Frage dieselbe Aussage, dass die Veranstaltungen für sie kostendeckend ausgerichtet sind und für sie hauptsächlich „Werbeveranstaltungen” für den Direktverkauf darstellen. Zur Organisation und Umsetzung der Weintourismus-Strategie ist es weiterhin interessant, wie Winzergenossenschaften das Potenzial der involvierten Mitglieder mit in die Aktivitäten einbeziehen. Die Antworten liefern kein eindeutiges Bild: Bei 48,66 % der befragten Betriebe werden eher häufig Veranstaltungen von Mitgliedern durchgeführt, bei 51,34 % nicht. 67,57 % der Geschäftsführer gaben an, ihre Mitglieder dahingehend zu motivieren, eigene Veranstaltungen durchzuführen.
 
Fazit
Wenn man einen Blick  auf den Absatzmarkt wirft, wird schnell deutlich: Winzergenossenschaften haben ebenso wie Weingüter verschiedene weintouristische Aktivitäten seit geraumer Zeit in ihre Unternehmensstruktur integriert. Im Gegensatz zu den meisten Weingütern geschieht dies jedoch nicht vor dem Hintergrund, eine eigene Wertschöpfung zu generieren, sondern lediglich mit dem Ziel, mit diesem  Marketinginstrument den Direktverkauf weiter zu verstärken. Für kleinere Winzergenossenschaften mit einem bedeutenden Absatz im direkten Vertrieb stellt Weintourismus eine betriebswirtschaftliche Überlebensstrategie und Verkaufsförderung dar, um einen geregelten Absatz ihrer Produkte zu realisieren.
Genossenschaften mit vermehrtem indirektem Vertrieb sehen Weintourismus als Kommunikationsmaßnahme für die Erschließung neuer Verbraucher- oder Zielgruppen. Neue und zusätzliche Angebote werden dabei allerdings von der zahlenden Kundschaft nur sehr langsam aufgenommen.
Es zeigt sich, dass die Integration der Mitglieder in den operativen Ablauf der Veranstaltungsdurchführung sehr stark vom persönlichen Engagement der Geschäftsführer abhängig ist. Dabei wird von vielen Genossenschaften das Potenzial unterschätzt, das von Mitgliedern bei der Durchführung, aber auch hinsichtlich der Kommunikation von Weinveranstaltungen eingebracht werden kann.
Die Einbindung der Mitglieder jedoch bietet eine Möglichkeit, um diese emotional an die Genossenschaft zu binden. Zudem bietet diese Zusammenarbeit Potenzial, das Qualitätsdenken der abliefernden Mitglieder anzuheben, da sie als Multiplikatoren in den direkten Kontakt mit dem Konsumenten treten und so für ihr weiterverarbeitetes Produkt den Absatz generieren.