Fachliches | 30. April 2020

Hagelschäden - Was können wir dagegen tun?

Von Hansjörg Stücklin, Weibauberater LRA Breisgau-Hochschwarzwald
Ist es zu einem Hagelschlag gekommen, so sind in Abhängigkeit vom Entwicklungsstadium der Reben und der Intensität des Schadens unterschiedliche Maßnahmen notwendig. Zur Vorbeugung von Schäden sind Hagelschutznetze sehr gut geeignet.
Durch den Hagel vom 26. Juli 2019 und insbesondere durch eine anschließende Peronospora-Infektion total zerstörte Laubwand. Das Foto wurde am 16. September desselben Jahres aufgenommen. Hier wurden die Trauben nicht reif.
Die Absicherung des finanziellen Schadens durch Hagelversicherungen gibt es ja schon sehr lange. Durch die Einführung des Pilotprojektes zur Förderung von Versicherungsprämien für die Frostversicherung im Obst- und Weinbau durch das Land Baden-Württemberg haben viele Winzer ihren Flächenumfang in der Hagelversicherung erhöht.
Als vorbeugende Maßnahme sind seit 15 Jahren die Hagelschutznetze, vor allem von der Firma Whaylex, auf dem Markt. Im Gegensatz zum Obstbau haben sie sich im Weinbau bisher eher zögerlich durchgesetzt. Neben den nicht unerheblichen Investitionskosten von circa 20.000 Euro/ha sind die ungewohnte Handhabung und die optische Wahrnehmung Gründe, welche die Installationsbereitschaft zurückliegend gebremst haben. 
Eine umfangreiche Untersuchung durch das Weinbauinstitut (ATW-Bericht 167, Thomas Littek et al.) und Winzer mit langjähriger Praxiserfahrung kommen zu folgendem Schluss: Neben dem eigentlichen Zweck, dem Hagelschutz der Trauben, aber auch der Laubwand unter dem Netz, gibt es weitere ganz wichtige Vorteile. So bietet das Netz auch einen guten Schutz gegenüber Vögeln, was insbesondere im ortsnahem Bereich hinsichtlich Lärmschutzproblemen/-auflagen und in unmittelbarer Nähe zu Saumstrukturen einen wichtigen Punkt darstellt.
Vorteile der Hagelschutznetzen
Das Hagelschutznetz in der benachbarten Anlage brachte einen guten Schutz.
Beobachtungen haben gezeigt, dass sich Wespen, andere Insekten und auch die Kirschessig-fliegen unter dem Netz weniger wohlfühlen und damit das Netz einen recht guten Schutz gegen schädliche Insekten bietet.
Als arbeitswirtschaftlich wichtiges Plus nennen Praktiker auch eine große Zeitersparnis bei den Heftarbeiten. Vor allem in Hageljahren sind die arbeitswirtschaftlichen Vorteile hinsichtlich Heften, Leseaufwand und Rebschnitt besonders deutlich. Die vergangenen Jahre haben auch gezeigt, dass unter dem Netz deutlich weniger Sonnenbrandschäden auftreten.
Phänologisch gibt es bis zum Reifebeginn kaum Einfluss, die Reife selber ist aber leicht verzögert. Bezüglich Peronospora und Oidium gibt es keinen/kaum Einfluss.
Hinsichtlich Botrytis gibt es unterschiedliche Aussagen. Praktiker berichten aber, dass eine beidseitige Entblätterung notwendig ist, um Botrytis vorzubeugen.
Eine maschinelle Entblätterung (Druckluft-, Zupftechnik) ist möglich. Die Zeilenbreite sollte bei 2 m liegen, um mechanische Schäden, zum Beispiel durch Laubschneider, möglichst zu vermeiden. Grundsätzlich wird die Haltbarkeit der Netze bisher als gut bewertet. Sprechen Sie, bei eventuellem Interesse, mit einem Praktiker, welcher schon mehrere Jahre Erfahrung mit den Netzen hat.
Schäden im Vorblütebereich
Hagelschaden am Trieb einer Jungrebe. Dieser Trieb eignet sich nicht für den Stammaufbau. Die Rebe muss zurückgeschnitten werden (Bildausschnitt Rebzweig).
Maßgeblich für das Ausmaß und die Folgen des Schadens im Weinbau sind die Stärke des Hagelschlages, der Zeitpunkt des Auftretens und der nachfolgende Witterungsverlauf.
Leichte Schäden im Vorblütebereich (Triebspitzen sind noch dran) haben kaum Auswirkungen auf die Rebe. Die Reben bekommen einen leichten „Verzögerungsschock”. Es sind keine speziellen Sofortmaßnahmen erforderlich. Folgespritzung sollten nicht zu weit gezogen werden. Bei mittleren bis stärkeren Schäden (zahlreiche oder alle Blätter und Triebe mehr oder weniger verletzt; viele Triebspitzen wurden abgeschlagen) im Vorblütebereich sieht es anders aus. Die Reben kommen aus dem Gleichgewicht, da die hormonproduzierenden Triebspitzen fehlen und die Rebe nicht auf Austrieb „eingestellt” ist. Je nach Temperatur dauert es deshalb circa zwei bis drei Wochen, bis sich der Hormonhaushalt auf Mobilisierung und Austrieb intakter Knospen (schlafende Augen am Altholz, ungeschädigte Knospen an grünen Trieben) eingestellt hat. 
Infolge der fehlenden Triebspitzen werden keine Hemmhormone gegenüber den Knospen am grünen Trieb gebildet, und es kommt zum weitgehenden Austrieb der dort bereits im laufenden Jahr angelegten intakten Winterknospen. Aufgrund der Apikaldominanz treiben die höher stehenden Knospen an den stark geschädigten Trieben zuerst und verstärkt aus.
Deshalb ist, im Vorblütebereich, ein baldiger Rückschnitt auf die untersten ein bis zwei Augen sinnvoll, um eine Stärkung der neu austreibenden Triebe, insbesondere im Kopfbereich (Zielholz), zu erreichen und Verdichtungen durch übermäßige Triebzahlen zu vermeiden. Alternativ kann das Zuviel an Trieben auch später über Ausbrechen entfernt werden. Die Erfahrungen der vergangenen zwanzig Jahre haben gezeigt, dass die Peronospora nach einem Hagelschlag besonders „giftig” ist. Es ist nachgewiesen, dass durch Hagel verletzte Blätter deutlich anfälliger gegenüber Peronosporainfektionen sind. Zusätzlich werden bei einem Hagelunwetter durch Starkregen und heftigen Wind/
Sturm vorhandene Sporen stark und weiträumig verteilt, was dann zu heftigen Primär- und Sekundärinfektionen führt.
Beim Pflanzenschutz ist deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Verhinderung von Peronosporainfektionen zu legen. Dies ist umso wichtiger, wenn bereits Peronosporaflecken in den Beständen zu finden sind. Es gelten folgende Pflanzenschutz-empfehlungen:
  • Wenn die letzte Behandlung vier Tage oder länger zurückliegt, sollte umgehend, das bedeutet, sobald die Befahrbarkeit es zulässt, eine Behandlung mit einem tiefenwirksamen Peronosporamittel durchgeführt werden.
  • Wenn unmittelbar vorher eine Behandlung durchgeführt wurde, sollte der Belag zeitnah, das heißt nach fünf bis sechs Tagen – möglichst vor eintretenden weiteren stärkeren Niederschlägen – mit einem Kontaktmittel erneuert werden. Grundsätzlich ist der Zusatz eines phosphonathaltigen Mittels (z. B. Veriphos) sinnvoll, um das zuwachsende Gewebe zu schützen.
  • Sonstige Blattdünger (Harnstoff usw.) sollten unmittelbar nach dem Hagel nicht eingesetzt werden. Der Wiederaustrieb wird dadurch nicht beschleunigt. In grundsätzlich schwachwüchsigeren Anlagen kann es zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein.
Schäden im Zeitraum Blüte bis zum Reifebeginn
Trauben, die durch einen Hagelschaden am 6. August 2019 stark geschädigt wurden.
Durch die anschließende trockene und heiße Witterung sind die allermeisten Wunden eingetrocknet.
Kommt es im Zeitraum Blüte bis zum Reifebeginn zu Hagelschäden, gelten für den Rebschutz die gleichen Empfehlungen wie vor der Blüte. Das vergangene Jahr mit seinen Hagelereignissen zweimal im Juli und zweimal im August hat einmal mehr gezeigt, dass beim Rebschutz das Hauptaugenmerk auf die Verhinderung von Peronospora-Infektionen gelegt werden muss. Es gab einige Rebanlagen, wo die Laubwand durch den Hagel selbst und anschließend durch Peronosporabefall fast gänzlich zerstört wurde und die Trauben mangels Assimilationsfläche nicht/kaum reif wurden.
Wenn durch den Hagel die Laubwand stärker geschädigt ist und der Neuaustrieb als Assimilationsfläche gebraucht wird, das Hagelereignis sich vom Zeitpunkt her aber bereits relativ spät, das heißt kurz vor oder nach dem Reifebeginn ereignet, muss bei einer noch eventuellen Peronosporabehandlung unbedingt die Wartezeit der eingesetzten Mittel beachtet werden. Das bedeutet, dass nur noch Mittel mit einer sehr kurzen Wartezeit von 21 Tagen, wie Mildicut, oder Kupfermittel (zum Beispiel Cuprozin progress oder Funguran progress) eingesetzt werden dürfen.
Da es bei einem Hagelereignis bis kurz vor Reifebeginn in der Regel anschließend trocken und warm/heiß ist, trocknen die offenen Verletzungen an den noch grünen Beeren zumeist so weit ein, dass die Fäulnisgefahr relativ gering ist. Mit zunehmender Zuckereinlagerung in die Beeren steigt aber die Botrytisgefahr stark an. Entscheidend ist aber die Witterung danach.
Hier ist man auf eine gute Wettervorhersage angewiesen. Bei trocken-warmer Witterung sind die Hagelverletzungen bereits nach einer Woche so weit eingetrocknet, dass die Botrytisgefahr nicht allzu groß ist. Bei vorhergesagter unbeständiger Witterung ist der Einsatz eines Botrytismittels mit kurzer Wartezeit aber fachlich sinnvoll.
Rebschnitt nach Hagel
Durch Hagel vom 6. August 2019 zerstörte Laubwand.
Im vergangenen Jahr wurden vereinzelt Mittel aus der Gruppe der Hydrogencarbonate eingesetzt, da diesen Mitteln eine austrocknende Wirkung nachgesagt wird. Diese bezieht sich aber nicht auf das Austrocknen der Wunden, wie mit einem Fön oder Löschblatt, sondern Bicarbonat trocknet vorhandenes Pilzmycel von Oidium und Botrytis ein. Da das Bicarbonat, ähnlich wie der Fruchtkalk, den pH-Wert auf der Beere und der Wunde erhöht, diese pH-Wert-Erhöhung mikrobiell wirkt, könnte hier ein gewisser Effekt möglich sein. Leider liegen aber, ebenso wie für den Einsatz der biologischen Botrytismittel, bei Hagelsituationen keine gesicherten Versuchsergebnisse vor. 
Spezielle Stockpflegemaßnahmen an der Laubwand sind im Nachblütebereich nach Hagelereignissen wenig sinnvoll. Das Entfernen von abgeschlagenen Blattfetzen aus der Traubenzone bringt aber eine bessere Abtrocknung der Trauben mit sich. Das Wegschneiden besonders stark verletzter Trauben ist im Hinblick auf Fäulnisreduzierung und Stockentlastung bei stärker geschädigter Laubwand jedoch durchaus förderlich.
Hier gilt es vor allem bei Junganlagen aufzupassen. Wichtigster Grundsatz beim Aufbau einer Jungrebe ist der wundenfreie Stamm. Verletzungen am künftigen Stamm führen oft zu Holzschäden und sind auch Eintrittspforten für stammschädigende Pilze und Bakterien. Sie führen zu Beeinträchtigungen der Leitungsbahnen, zu schlechtem Wachstum oder gar zum Absterben der Rebe. Deshalb sollten die Ruten der Jungreben sorgfältig kontrolliert werden und bei Vorhandensein von tieferen Wunden die Triebe – je nach Wüchsigkeit – auf ein oder zwei Augen zurückgeschnitten werden.