Fachliches | 02. Juli 2021

Heizdrähte gegen Frost

Von Lothar Neumann, Weinbauberater beim Landwirtschaftsamt Heilbronn
Elektrische Heizkabel zum Frostschutz existieren in vielen Bereichen, in der Haustechnik genauso wie bei heizbaren Rasenflächen in Fußballstadien. Da wundert es nicht, dass diese Technik auch im Weinbau ausprobiert wird. Praxiserfahrungen mit einem System gibt es bei einer Anlage in Württemberg.
Bild 1: In der Umgebung der Versuchsfläche waren bei dem Frostereignis in der Nacht auf den 12. Mai 2020 ohne Frostschutz in unterer und mittlerer Höhenlage des Berges 100 % Schaden entstanden.
Eine Tüftlerfamilie aus dem württembergischen Ochsenbach hat damit bereits beim Spätfrost im Jahr 2017 erste Erfahrungen gesammelt. Im Frühjahr 2020 und abermals nach dem Austrieb 2021 konnte das System weiteren Praxistests unterzogen werden.
Die Lemberger-Anlage des Weingutes Merkle befindet sich im untersten Gewann eines Südhanges am Stromberg. Der örtliche Talgrund liegt zehn Meter tiefer als der unterste Teil der Rebfläche. Die Rebfläche weist eine Hangneigung von durchschnittlich 20 Prozent auf. Die absolute Höhe reicht von 285 bis 310 Meter über NN.
Die Nähe zum Tal führte bereits in der Vergangenheit dazu, dass der früh austreibende Lemberger in dieser gefährdeten Lage bei Spätfrösten regelmäßig Schaden erlitt. Für die Nutzung von Heizdrahtsystemen ist es sinnvoll, die gefährdeten grünen Rebteile möglichst nah an der Wärmequelle zu platzieren. Dazu eignet sich am besten die Erziehung als Flachbogen.
Kein Nebel
In der Nacht auf Dienstag, den 12. Mai 2020 fielen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Das Rebstadium bei der Sorte Lemberger bewegte sich in dieser Lage um das Vier- bis Sechs-Blatt-Stadium. Die Gescheine waren zum Großteil entwickelt.
Riesling und Burgundersorten im gleichen Gewann waren im Wuchs etwas zurück, erlitten aber ebenso starke Schäden. Starke Frostschäden an jungen Rebtrieben  wurden im gesamten Anbaugebiet Württemberg festgestellt. In der Umgebung der Versuchsfläche waren ohne Frostschutz in unterer und mittlerer Höhenlage des Berges 100 Prozent Schaden enstanden (Bild 1).
Bild 2: Trotz partieller Schäden an Triebspitzen und Blättern haben die meisten Gescheine den Frost überlebt.
Die Besonderheit dieses Frostereignisses lag darin, dass die Kombination von Niederschlag am Vortag und vergleichsweise moderaten Temperaturen bis –2 °C zu extremen Zellschädigungen im Bereich der Triebspitzen, der Gescheine und vielfach auch des gesamten Triebes führte. Die Rebtriebe waren zum Zeitpunkt des Frosteintrittes in der Nacht noch nass. In trockenem Zustand hätten die eher moderaten Minustemperaturen zu deutlich geringeren Schäden geführt.
In Bereichen des Anbaugebiets, in denen frühzeitig in der Nacht Nebelbildung eingesetzt hatte, fielen die Temperaturen nicht nennenswert unter 0 °C und es waren dort kaum Frostschäden zu verzeichnen. In der Umgebung der Versuchsfläche in Ochsenbach gab es in der Frostnacht keine Nebelbildung und entsprechend schädigend wirkten die Minustemperaturen. Knapp drei Wochen nach dem Frostereignis konnte in der Versuchsanlage festgestellt werden, dass trotz partieller Schäden an Triebspitze und Blättern die meisten Gescheine überleben würden (Bild 2). 
Spätfrost im Frühjahr 2021
Auch im Frühjahr 2021 wurden aus großen Teilen Europas, teilweise bis weit in den Süden, massive Frostschäden gemeldet. Verursacht wurden diese durch eine entsprechende Großwetterlage mit Zufuhr arktischer Meeresluft unmittelbar nach Ostern und daraus resultierenden Minustemperaturen auch in den Weinbaugebieten. In Baden wie auch in Württemberg war der Hauptschädigungszeitpunkt die Nacht von Ostermontag auf Dienstag, also vom 5. auf den 6. April 2021.
Was Württemberg betrifft, waren im Prinzip nur die besten und eigentlich sonst frostfreien Lagen betroffen. Dieses Paradoxon ist damit zu erklären, dass in diesen frühen Lagen die Rebknospen bereits das empfindliche Wollestadium oder den Knospenaufbruch erreicht hatten, wogegen die tief liegenden eigentlichen Frostlagen sich noch in kompletter Winterruhe befanden. Nasse Knospen durch Niederschlag am Ostermontag befeuerten die Frostempfindlichkeit noch deutlich.
Bild 3: Links, in der ungeschützten Nachbarfläche – gleiche Rebsorte, gleiches Alter – ist ungefähr die Hälfte der Zeilenlänge klassischerweise am Hangfuß sehr stark geschädigt. Rechts die mit Heizdraht geschützte Versuchsfläche.
Die Heizdraht-Versuchsfläche in Ochsenbach liegt in Talnähe und ist damit sehr stark frostgefährdet. Dort waren an Ostern die Knospen selbst bei dem früh austreibenden Lemberger noch in der Winterruhe und es kam zu diesem Zeitpunkt zu keiner Schädigung. Einen Monat später, in der Nacht von 7. auf den 8. Mai, wurden kleinräumig nochmal kritische Temperaturen erreicht. Die Rebknospen in der Versuchsfläche waren hier mittlerweile in einem empfindlichen Stadium. In dieser Nacht wurde die
Bild 4: In der Versuchsfläche ließ sich ein nahezu vollständiger Austrieb im Bereich der Heizdrähte konstatieren.
Heizdrahtanlage aktiviert. Das Ergebnis zeigt Bild 3. In der ungeschützten Nachbarfläche – gleiche Rebsorte, gleiches Alter – ist ungefähr die Hälfte der Zeilenlänge klassisch am Hangfuß sehr stark geschädigt. In der Versuchsfläche lässt sich ein nahezu vollständiger Austrieb im Bereich der Heizdrähte konstatieren (Bild 4). Allerdings ist auch sichtbar, dass Knospen, die nicht unmittelbar in der Nähe des Heizdrahts platziert sind, ebenfalls geschädigt wurden. Es lässt sich festhalten, dass das Heizdrahtsystem am besten mit Flachbogenerziehung funktioniert. Bei den Bedingungen in der Frostnacht vom 7. auf 8. Mai, so die Aussage des Betreibers, lieferten die Varianten mit zehn und 20 Watt je laufendem Meter gleiche Ergebnisse.
Heizdrähte und Energieerzeugung
Bild 5: Dieses Stromaggregat wurde am 21. April 2017 beim Erstversuch der Merkles verwendet.
Bereits im Frühjahr 2017 bauten die Ochsenbacher Tüftler zusammen mit einem Elektriker Heizdrähte in der beschriebenen Lage ein und organisierten kurz vor der Frostnacht einen Stromerzeuger (Bild 5).
Im Anschluss an diesen Tastversuch gelangte man schnell zu der Erkenntnis, dass die empfindlichen Kabel einen Schutz brauchen. Dafür verwenden die Merkles nun dünne Aluminiumschutzrohre, in die die Heizkabel bei der Installation eingezogen werden. Neben einem guten Wärmeübergang hat dies den Vorteil, dass mechanische Beschädigungen der Heizkabel praktisch ausgeschlossen sind. Bei den Heizdrähten handelt es sich um Spezialware mit einem bestimmten spezifischen Widerstand, der dazu führt, dass die Wärmeentwicklung auf der gesamten Länge der Leitung gleich bleibt.
 Das Frost-Stop-System von Merkle arbeitet mit 20 Watt pro laufendem Meter. Bei einer Zeilenlänge von 5000 m/ha werden somit 100kW, also 100000 Watt benötigt. Ein handelsüblicher Föhn hat 2000 Watt. Im Vergleich zeigt sich, dass der Energiebedarf je Hektar dem von 50 Haarföhnen entspricht. Frostkerzen verbrennen im Gegensatz dazu eine Energiemenge von etwa dem 20-fachen und erzeugen kaum tolerierbare Emissionen. Die Umweltbelastung ist bei Heizstrom im Vergleich zu Frostkerzen auf ein Minimum reduziert. Durch die präzise Wärmeverteilung der Heizkabel wirkt die eingebrachte Energie sehr zielgerichtet und effizient. Der Energiebedarf bleibt bei den Heizkabeln unabhängig von der Außentemperatur immer gleich.
Woher kommt der Strom?
Für die Bereitstellung der Energie gibt es unterschiedliche technische Lösungen. Der einfachste Weg zur schnellen und unkomplizierten Stromversorgung bildet ein klassisches Notstromaggregat. Die benötigten Leistungsklassen können über den Baumaschinenhandel oder spezialisierte Vermietungsfirmen bezogen werden. Dank der heutigen modernen Technik sind Notstromaggregate sehr gut schallgedämmt und äußerst effizient im Verbrauch. Die bereitgestellten Leistungen reichen bis zu 3000 kW, womit bis zu 30 ha versorgt werden könnten. Mit diesen bereitgestellten Strommengen könnten leicht Frostschutzgemeinschaften gebildet werden.
Eine weitere Möglichkeit bieten Zapfwellengeneratoren an Ackerschleppern. Die Frage nach der benötigten Treibstoffmenge in einer Frostnacht beantworten die Merkles mit dem Hinweis, dass eine Tankfüllung in jedem Fall für eine Nacht
ausreicht. Den Verbrauch exakt zu quantifizieren, ist etwas schwierig, da jedes Traktorfabrikat eine unterschiedliche Motordrehzahl erreichen muss, damit an der Zapfwelle und damit am Generator die richtige Drehzahl erreicht wird.
Für Flächen in unmittelbarer Nähe von Stromanschlüssen können auch diese zur Stromversorgung genutzt werden.
Bei einer Absicherung mit 63 Ampère lässt sich damit ein halbes Hektar Reben schützen. Bei 125 Ampère reicht die Versorgung für ungefähr einen Hektar. Eine komfortable Automatisierung mit Frostwächter lässt sich damit realisieren. Möglicherweise könnten in Zukunft auch große Batteriespeicher die Anlage betreiben, wenn sie transportabel sind oder wenn die Weinberge in unmittelbarer Nähe der Speicher liegen.
Betriebswirtschaft und Rentabilität
Je nach Zeilenlänge und Geometrie des Weinbergs muss mit einmaligen Investitionskosten von mindestens 14000 Euro pro Hektar gerechnet werden. Alle Materialien des Merkle-Systems sind auf die Anforderungen im Außenbereich sowie die Beständigkeit gegenüber Pflanzenschutzmitteln und maschinellen Beanspruchungen ausgelegt – beispielsweise durch Vollernter, Entlauber und Laubschneider. Laut Herstellerangaben kann eine Nutzungsdauer von einer Rebgeneration, also 40 Jahren, angenommen werden. Die jährliche Abschreibung beliefe sich dann auf rund 350 Euro je Hektar.
Bild 6: Anschlussdosen am Ende der Rebzeile.
Der Vergleich mit Versicherungsprämien gegen Frostschäden liegt nahe. Im Unterschied hierzu erhält der Winzer allerdings bei funktionierender Spätfrostbekämpfung auch tatsächlich einen Traubenertrag. Ein  weiterer Vorteil liegt darin, dass – wenn gewünscht – nur flächenscharf in ausgesuchte Parzellen investiert werden kann.
Die variablen Kosten bei einem Frostereignis sind überschaubar. Eine Person reicht für die Inbetriebnahme aus. Bild 6 zeigt die Anschlussdosen am Ende der Rebzeilen. Personaleinsatz und Rüstzeit sind gering. Ein Notstromaggregat darf mit Heizöl betrieben werden. Aus einem Liter Heizöl können rund zehn Kilowatt gewonnen werden. Man benötigt also für 100 kW – das entspricht einem Hektar – etwa zwölf bis 15 Liter Heizöl je Stunde. Bei einer nächtlichen Laufzeit von angenommenen acht Stunden also rund 100 Liter Heizöl je Hektar.
Bild 7: Die Versuchsauswertung erfolgte am 1. Oktober 2020.
Die Auswertung des Praxisversuchs war denkbar einfach. Die umliegenden Kontrollflächen waren alle vollständig vom Frost geschädigt. Eine Ernte hat dort nicht stattgefunden. Das Ernteergebnis in den mit dem Heizsystem versehenen Rebzeilen wurde zeilenweise erfasst. Im Durchschnitt konnte ein Ertrag von umgerechnet zwei Kilogramm je Stock geerntet werden (Bild 7). Bedingt durch den Anschnitt als Flachbogen wäre vom Weingut ein Wunschertrag von 2,5 bis 3 kg je Stock erwartet worden. Das Mostgewicht lag bei den ausgewerteten Rebzeilen im Durchschnitt bei 85,5 Grad Öchsle. Es ist geplant, die Ergebnisse der Ernte 2021 ebenfalls auszuwerten.

 
Fazit
Grundsätzlich zielt das System darauf ab, als eine Frostschutzdauerlösung einmalig und langfristig fest verbaut zu werden und wartungsarm zu sein. Durch den einfachen Systemeinstieg können Teilparzellen zum Ausprobieren ausgestattet werden. Eine Erweiterung ist problemlos möglich. Charmant bei Hanglagen wäre es  möglicherweise, nur die ersten Meter von unten auszustatten.  Ein besonderer Vorteil des Systems  liegt darin, dass es unproblematisch gegen mehrere aufeinander folgende Frostereignisse eingesetzt werden kann. Nach den Erfahrungen aus den Jahren 2020 und 2021 arbeitet das System mit einem beachtlichen Wirkungsgrad. Im Rahmen eines Vorhabens des Ausschusses für Technik im Weinbau (ATW) wurden an der LVWO Weinsberg bei Maifrösten im Jahr 2019 unterschiedliche Varianten der Spätfrostbekämpfung versuchsmäßig betreut. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht von H.-C. Schiefer und G. Thim, 2020. Dabei konnten auch hier die Heizdrahtvarianten ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen. Die variablen Kosten wie auch die Rüstzeiten zur Inbetriebnahme der Anlage sind marginal.   Wegen der jedoch nicht unerheblichen Grundinvestition ist das System besonders für Rebflächen interessant, auf deren Ertrag nicht verzichtet werden soll.
Wer Interesse hat, die Versuchsanlage zu besichtigen, kann sich an die Firma Merkle wenden.