Fachliches
| 02. September 2022
Ein Jahrgang mit Potenzial
Von Walter Eberenz
Wie heiß ist 2022 im Vergleich zu anderen sehr warmen Jahren?
Interview zum Weinjahrgang 2022 mit Dr. Ramón Heidinger (links), Leiter des Referats Weinmikrobiologie und Dr. Rainer Amann, Leiter des Referats Weinchemie am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg.
Amann: Zunächst ist der Gegensatz zu 2021 beeindruckend. In Baden-Württemberg waren von Januar bis August alle Monate wärmer als letztes Jahr, selbst der schon sehr warme Juni 2021 wurde knapp übertroffen. In diesem Jahr folgte auf einen schon äußerst warmen und trockenen Mai der zweitheißeste Sommer, klar hinter 2003, aber auch klar vor 2018 (Platz 3) und 2015 (Platz 4).
Im 20. Jahrhundert war 1947 der heißeste Sommer. In den letzten acht Jahren, also ab 2015, wurde das Temperaturmittel des Jahres 1947 gleich vier Mal übertroffen, denn auch 2019 war noch wärmer, dazu lag der Sommer 2017 nur knapp darunter. Aus früherer Sicht ist 2022 also der fünfte Jahrhundertsommer in acht Jahren. Dazu kommt wieder große Dürre, während wir letztes Jahr noch den nassesten Sommer seit 1938 mit großen Peronospora-Problemen zu beklagen hatten.
Im 20. Jahrhundert war 1947 der heißeste Sommer. In den letzten acht Jahren, also ab 2015, wurde das Temperaturmittel des Jahres 1947 gleich vier Mal übertroffen, denn auch 2019 war noch wärmer, dazu lag der Sommer 2017 nur knapp darunter. Aus früherer Sicht ist 2022 also der fünfte Jahrhundertsommer in acht Jahren. Dazu kommt wieder große Dürre, während wir letztes Jahr noch den nassesten Sommer seit 1938 mit großen Peronospora-Problemen zu beklagen hatten.
Wie haben sich die wochenlange Hitze und Dürre ausgewirkt?
Amann: Stand letzte Augustwoche liegen wir bei den Reifedaten so früh
wie 2018 und 2020 und können zuversichtlich sein, hauptsächlich
qualitativ hochwertige und gesunde Trauben zu ernten. Durch die frühe
Blüte war ein früher Reifebeginn schon vorprogrammiert. Kommt wie 2022 große Hitze während
der Reifephase dazu, dann beschleunigt sie am stärksten den Abbau der
Äpfelsäure. Die Trauben werden wieder sehr niedrige Säuregehalte haben. Ein Problem ist, dass die Trauben vom Aussehen und vom Geschmack nicht
immer so reif sind, wie man anhand der analytischen Daten erwartet.
Wartet man mit der Lese ab, dann kommt man bei den Burgundern schnell
in dreistellige Oechsle-Regionen, verbunden mit unerwünscht hohen
Alkoholgehalten in den Weinen. Frühe Lese kann dagegen im schlechtesten
Fall zu ausdrucksarmen, UTA-gefährdeten Weißweinen und unreif-gerbigen
Rotweinen führen.
Was bedeutet das für den Leseablauf?
Amann: In den frühen Vegetationsperioden rückt die Reife unserer
wichtigsten Sorten oft eng zusammen. Mancher Spätburgunder wird dann
schon vorm Müller-Thurgau gelesen. Man muss auf eine sehr schnelle Lese
eingerichtet sein, selbst wenn die Trauben so gesund bleiben wie in den
Dürrejahren 2003, 2015 und 2018. Zum Zeitpunkt dieses Interviews sieht es
so aus, als könnte dieser Jahrgang ähnlich werden. Vier Tage vom 17. bis
20. August liegen hinter uns, in denen wir großflächig Niederschläge
hatten. Allerdings in extrem unterschiedlichem Ausmaß: In der
südbadischen Oberrheinebene oft 20 bis 40 mm, am Bodensee noch erheblich
mehr, in Nordbaden teilweise nicht mal einen Millimeter. Bei einem
ungünstigen Witterungsverlauf im September hätten wir immerhin das
Glück, dass die hohen Mostgewichte eine schnelle Lese möglich machen,
bevor die Fäulnis zu viel Schaden anrichtet.
Heidinger: Sowohl chemische Reaktionen, also primär Oxidation, als auch mikrobiologischer Verderb sind temperaturabhängig. Falls sich das Wetter hält, sollte nach Möglichkeit also früh gelesen werden, wenn die Temperaturen noch bei oder unter 20 °C liegen.
Heidinger: Sowohl chemische Reaktionen, also primär Oxidation, als auch mikrobiologischer Verderb sind temperaturabhängig. Falls sich das Wetter hält, sollte nach Möglichkeit also früh gelesen werden, wenn die Temperaturen noch bei oder unter 20 °C liegen.
Worauf kommt es im Keller an bei der Verarbeitung der Trauben?
Heidinger: Die großen Punkte sind in diesem Jahr die niedrige
Gesamtsäure, hohe pH-Werte und hohe Zuckergehalte. Standortabhängig kann
dann auch noch der Gehalt an hefeverwertbarem Stickstoff niedrig sein.
In Verbindung mit hohen Zuckergehalten ist eine schleppende Endvergärung
bei mangelnder Nährstoffversorgung fast vorprogrammiert, wenn die
Gärung nicht schon davor stockt. Der Most sollte auch nicht zu stark
vorgeklärt werden, um genügend inneres Volumen zu haben (>50 NTU).
Im Keller muss schnell gearbeitet werden, zumindest bei Weißen idealerweise mit Kühlung und nach Möglichkeit mit Trockeneis, um die Aromatik zu schützen. Die Zugabe von Nährsalz und der Hefezusatz sollten sich nach den Ergebnissen der Mostanalytik richten, das ist auch bei einer eventuellen Säuerung das A und O. Bitte hierzu auch nochmal unbedingt unseren Artikel in der Augustausgabe des Badischen Winzers über Säuren und Ansäuerung zu Herzen nehmen. Bei Thiamin rate ich generell zur Zugabe bis zum gesetzlichen Limit, das sind 0,6 mg/l. Das reduziert später das gebundene SO2. Bei der Hefeernährung sollte man bei Weißen mindestens 150 mg/l N erreichen und bei Roten 100 mg/l. Dieses Jahr ist auch eher etwas mehr sicher kein Fehler, also 200 mg/l bzw. 150 mg/l.
Allein aufgrund der hohen Zuckerkonzentrationen erwarte ich aus dem Hefestoffwechsel höhere Bernsteinsäurekonzentrationen, mehr flüchtige Säure und mehr Acetaldehyd.
Im Keller muss schnell gearbeitet werden, zumindest bei Weißen idealerweise mit Kühlung und nach Möglichkeit mit Trockeneis, um die Aromatik zu schützen. Die Zugabe von Nährsalz und der Hefezusatz sollten sich nach den Ergebnissen der Mostanalytik richten, das ist auch bei einer eventuellen Säuerung das A und O. Bitte hierzu auch nochmal unbedingt unseren Artikel in der Augustausgabe des Badischen Winzers über Säuren und Ansäuerung zu Herzen nehmen. Bei Thiamin rate ich generell zur Zugabe bis zum gesetzlichen Limit, das sind 0,6 mg/l. Das reduziert später das gebundene SO2. Bei der Hefeernährung sollte man bei Weißen mindestens 150 mg/l N erreichen und bei Roten 100 mg/l. Dieses Jahr ist auch eher etwas mehr sicher kein Fehler, also 200 mg/l bzw. 150 mg/l.
Allein aufgrund der hohen Zuckerkonzentrationen erwarte ich aus dem Hefestoffwechsel höhere Bernsteinsäurekonzentrationen, mehr flüchtige Säure und mehr Acetaldehyd.
Welche Art Weine dürften vom Jahrgang 2022 zu erwarten sein?
Heidinger: Erhöhte Alkoholgehalte sind bei manchen Sorten zu erwarten,
wenn man die aromatische Reife abwarten will. Das ist aber
sortenabhängig und hängt vom Lesezeitpunkt ab. Beim Souvignier Gris ist
uns zum Beispiel in den letzten Jahren aufgefallen, dass meist zu lange
mit der Lese gewartet wird, auch weil man die Sorte aufgrund der
Resistenz ruhig länger hängen lassen kann. Frischere und fruchtigere
Weine mit guter Reife erhält man hier bei früherer Lese.
Insgesamt denke ich, dass der Jahrgang sehr viel Potenzial birgt und den Kellermeistern viele Optionen offenlässt, zumindest, wenn man nicht dogmatisch vorgeht, sondern die Herangehensweise an den Zielen und der Mostzusammensetzung orientiert. Bei der Säure können wir aufgrund der gesetzlichen Änderungen jetzt ja bereits im Moststadium aktiver werden.
Wenn die pH-Werte aber nicht gewissenhaft kontrolliert werden, sehe ich die Gefahr der Entstehung von mikrobiologischen Fehltönen. Vor allem in Roten für den Fassausbau, da sehen wir in den letzten Jahren häufiger Brettanomyces, aber hauptsächlich den Mäuselton. Bei Weißen ist dann natürlich auch mal schnell die Äpfelsäure ganz weg. Bei terpenreichen Sorten gehe ich nicht von einer Reduktion der Sortentypizität aus, aber beim Riesling mag sich die Petrolnote verstärkt äußern.
Insgesamt denke ich, dass der Jahrgang sehr viel Potenzial birgt und den Kellermeistern viele Optionen offenlässt, zumindest, wenn man nicht dogmatisch vorgeht, sondern die Herangehensweise an den Zielen und der Mostzusammensetzung orientiert. Bei der Säure können wir aufgrund der gesetzlichen Änderungen jetzt ja bereits im Moststadium aktiver werden.
Wenn die pH-Werte aber nicht gewissenhaft kontrolliert werden, sehe ich die Gefahr der Entstehung von mikrobiologischen Fehltönen. Vor allem in Roten für den Fassausbau, da sehen wir in den letzten Jahren häufiger Brettanomyces, aber hauptsächlich den Mäuselton. Bei Weißen ist dann natürlich auch mal schnell die Äpfelsäure ganz weg. Bei terpenreichen Sorten gehe ich nicht von einer Reduktion der Sortentypizität aus, aber beim Riesling mag sich die Petrolnote verstärkt äußern.