Fachliches | 04. September 2020

Jahrgang 2020 auf der Zielgeraden

Von Hansjörg Stücklin
Die Reben stehen so hervorragend wie schon viele Jahre nicht mehr und die Weinlese 2020 beginnt einmal mehr sehr früh. Noch sind nicht alle Trauben im Keller. Auf der Zielgeraden lohnt es, sich mit Kollegen auszutauschen.
Das Schaubild zeigt die Entwicklung des Reifebeginns von 1976 bis 2020. Der festgestellte Reifebeginn wurde jeweils mit einem blauen Punkt markiert. Rot ist die daraus abgeleitete Trendlinie.
Sehr warme Frühjahrstemperaturen führten erneut zu einem sehr frühen Austrieb mit einem Vorsprung von zwölf Tagen gegenüber dem langjährigen Durchschnitt. Vier der vergangenen zehn Jahrgänge gehören in dieser Hinsicht zu den frühesten überhaupt. Diesen Vorsprung behielten die diesjährigen Reben bis zum Reifebeginn bei und werden ihn voraussichtlich auch bis zur Lese beibehalten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt. Möglicherweise wird es in Zukunft auch immer mehr trockene Jahre geben. Bis auf die Region Bodensee zeigen fast alle Bereiche in Baden in diesem Jahr eine deutlich negative Wasserbilanz – der Bereich Tauberfranken ganz besonders. Nach einem zumeist sehr trockenen Juli brachten ergiebige Niederschläge in der ersten Augusthälfte in vielen, aber nicht allen Bereichen eine merkliche Entspannung mit sich. Dieser Regen führte in der zweiten Augustwoche zu einem sehr kräftigen Reifeschub, aber auch noch einmal zu einem deutlichen Beerenwachstum und damit bei vielen Sorten und Klonen zu kompakteren Trauben.
Bis Ende August zeigten sich noch keine oder nur wenige erste Fäulnisnester. Wie sich das Wetter bis zur Lese entwickelt, wird entscheidend für die Traubengesundheit sein. Die mittelfristige Wettervorhersage bis Anfang September sieht gut aus. Ob die Trauben gesund bleiben, hängt maßgeblich von den durchgeführten weinbaulichen Maßnahmen ab wie dem Einsatz von Bioregulatoren, der fachgerechten Entblätterung – vor allem vom „Ausblasen” und auch den bekannten anderen Maßnahmen.
In einigen Bereichen brachten Spätfröste Ende März und Anfang April leichte Schäden mit sich, welche sich aber mengenmäßig kaum bis gar nicht auf die Erntemenge in Baden auswirken werden. Markanter ist, dass die Beiaugenaustriebe in solchen Lagen hinsichtlich der Traubenreife beträchtlich hinterherhinken. Zumeist werden diese Nachzüglertrauben für die Lesemenge nicht gebraucht und sollten deshalb vor der Lese unbedingt entfernt werden.
Sehr kühle Nachttemperaturen an Pfingsten führten zu einer verzettelten Blüte – besonders bei den Burgundersorten. Vor allem in diesen Sorten war der Reifezustand am Stock und auch innerhalb der Trauben so unterschiedlich wie schon viele Jahre nicht mehr. Bis zum Beginn der Lese dürften sich diese Unterschiede noch einigermaßen ausgleichen.
Sanierungsmöglichkeiten bei Escabefall
Die „Reset”-Maßnahme hat in dieser Gutedelanlage sehr gut funktioniert. Die Laubwand ist bereits nach einem Jahr wieder vollständig geschlossen bei vollem Ertrag.
Das Jahr 2020 hat erneut gezeigt, dass der Escabefall weiterhin deutlich ansteigt – vor allem Rebsorten wie Müller-Thurgau, Gutedel, Sauvignon blanc, Muskateller und Gewürztraminer sind besonders anfällig. Nachpflanzen als Gegenmaßnahme ist aufgrund der starken Trockenheit sehr problematisch und ohne Wassergaben fast unmöglich. Etwas erfolgversprechender ist der rechtzeitige Stammrückschnitt von Befallsstöcken. Zuerst sollten die leicht bis mittel befallenen Stöcke markiert werden. Bei stark befallenen Stöcken mit komplettem Blattfall lohnt sich eine Sanierung in der Regel nicht. Diese sollten gesondert markiert und im Frühjahr gerodet und ersetzt werden. Die leicht bis mittelstark befallenen Stöcke werden nach der Lese 15 bis 20 cm über dem Pfropfkopf abgesägt und im nächsten Frühjahr werden ein oder zwei neue Triebe von unten neu hochgezogen. Die Erfolgsquote dieser Sanierungsmaßnahmen kann gesteigert werden, wenn diese frühzeitig durchgeführt werden – also solange nur ein oder wenige Triebe befallen sind – und die Anlagen jünger als 20 Jahre sind.
Einige Winzer nutzen auch die sogenannte „Resetmethode” mit recht gutem Erfolg. Sobald erste einzelne Escastöcke auftreten, werden im darauffolgenden Frühjahr in der gesamten Anlage Stammaustriebe von unten hochgezogen. Wenn dies erfolgreich war, wird dieser Stammaustrieb im darauffolgenden Jahr als Stamm und Fruchtrute verwendet und der alte Stamm wird mit einer starken Baumschere abgeschnitten. Erste Erfahrungen zeigen, dass Anlagen, welche auf diese Art saniert wurden, sechs, acht oder gar zehn Jahre mit zufriedenstellender Gesundheit weiter wachsen. Der Aufwand für diese Maßnahme ist nicht gerade gering, aber geringer als das Roden, Nachpflanzen und Aufheften. Zudem ist sie betriebswirtschaftlich interessant, da es zu keinem oder nur geringem Ertragsausfall kommt.
Umschauen kostet nichts
Es lohnt, sich unmittelbar vor der Lese die Zeit zu nehmen, um bei Winzerkollegen in der näheren aber auch der weiteren Umgebung Positivbeispiele anzuschauen und Anregungen für die eigene weinbauliche Ausrichtung zu holen. Getrieben vom Klimawandel setzen einige Vermarktungsbetriebe auf neue Sorten aus südlichen Anbaugebieten und empfehlen diese ihren Winzern. Wer noch keine Erfahrung hat mit Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot, Syrah und ähnlichen Sorten, sollte sich kurz vor der Lese, umhorchen, welche Winzer bereits Erfahrung mit solchen Sorten haben. Das Gleiche gilt für sämtliche weinbaulichen Maßnahmen zur Fäulnisvermeidung. Es ist bekannt, dass bei Spätburgunder und Ruländer mit den mischbeerigen Klonen verschiedener Züchter mit geringem Arbeitsaufwand sehr viel erreicht werden kann. Allerdings gelang es Genossenschaftswinzern mit diesen Klonen in manchen Jahren nicht, die Zielmenge zu erreichen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zielmengen in den kommenden Jahren eher sinken werden. Dementsprechend werden diese mischbeerigen Klone mit meist geringerem Ertrag aus mehreren Gründen durchaus wieder interessanter. So entfällt das
arbeitsintensive Traubenteilen, Traubenreduzieren sowie das Sortieren hinsichtlich Fäulnis bei der Handlese. Zudem reduziert sich die Negativlese vor dem Vollerntereinsatz oder entfällt ganz.
Dass bei diesen Klonen durch die geringeren Erträge und durch die Mischbeerigkeit gerade beim Spätburgunder die Weinqualität steigt, ist hinlänglich bekannt. Auch beim Weißburgunder gibt es seit wenigen Jahren mit den neuen mischbeerigen Klonen von Rebenzüchter Gundram Dreher sehr interessante Alternativen. Da diese mischbeerigen Burgundeklone in diesem Jahr ihre Stärken zeigen, bringt es mehr, sich Praxisbeispiele kurz vor der Lese anzuschauen als Bilder in Vorträgen oder Artikeln. Dies gilt natürlich auch für den Einsatz von Bioregulatoren. Bei einzelnen mit GIBB 3 oder Regalis behandelten Anlagen zeigte sich kurz nach der Anwendung eine Verrieselung, welche über das Ziel hinausgeschossen war. Mittlerweile haben sich diese Anlagen hinsichtlich des Ertrages „erholt”.
Frühe Lese und Corona
Der frühe Lesebeginn 2020 erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Lese bei warmer Witterung erfolgen muss und dass das Lesezeitfenster recht eng sein wird. Warmes Lesegut bringt mikrobiologische Probleme mit sich, sodass viel Energie – und damit Geld – zum Herunterkühlen benötigt wird. Deshalb wird es notwendig sein, mit der Maschinenlese in den kühlen Morgenstunden zu beginnen, um die Trauben möglichst kühl in die Keller zu bekommen. Bei warmem Lesewetter müssen die Trauben umgehend zum Verarbeitungsbetrieb transportiert werden.
In den vergangenen Jahren haben sich Klagen aus der Bevölkerung wegen der nächtlichen Ruhestörung durch die Vollernter gehäuft. Hier sollte über das Mitteilungsblatt örtlich darüber informiert werden, warum die Lese in diesem Jahr so früh am Morgen notwendig ist.
Die Corona-Pandemie stellt auch für die Weinlese eine besondere Herausforderung dar. Entsprechende rechtliche Vorgaben, insbesondere beim Einsatz von Saisonarbeitskräften, und die erforderlichen Hygienemaßnahmen sind zu beachten. Hinweise dazu auch unter www.svlfg.de