Fachliches | 04. November 2021

Klimawandel und Piwi-Sorten – wie passt das zusammen?

Von Ernst Weinmann, WBI Freiburg
Am staatlichen Weinbauinstitut erfolgt die Züchtung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten nach den Methoden der klassischen Kreuzungszüchtung. Dazu werden Elternsorten mit den gewünschten Zuchtzielen ausgewählt.
Der rote Zuchtstamm FR 628-2005r hat eine deutlich langsamere Mostgewichtsentwicklung als der Spätburgunder.
Um die Selbstung der Mutterrebsorte zu vermeiden, werden ihre Gescheine kurz vor der Blüte kastriert. Dabei werden Blütenkäppchen und Staubbeutel jedes einzelnen Blütchens entfernt. Das Geschein ist nach der Kastration vor Fremdbefruchtung geschützt. Es wird nach einigen Tagen mit dem Pollen der gewünschten Vatersorte befruchtet. Die im Herbst aus den geernteten Trauben ausgewaschenen Samen werden im Folgejahr im Gewächshaus ausgesät. Sämlinge, die aus den Samen erwachsen, werden in einem Biotest auf ihre Resistenz gegen den Falschen – Peronospora –  und Echten – Oidium – Mehltau getestet. Dazu werden die Sämlinge im ersten Schritt mit Peronospora infiziert und anschließend über einen Zeitraum von sechs Wochen ideale Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen für die Entwickelung des Pilzes eingestellt.
Danach erfolgt, ebenfalls über einen Zeitraum von sechs Wochen, die Testung der Resistenz gegen den Echten Mehltau. Die Sämlinge, die sich mit guter Resistenzreaktion und gutem Wuchs behaupten, werden dann für die weitere Zucht kultiviert.
Neue Erkenntnisse
„Der große Erkenntnisgewinn über die Genetik der Reben hat in den letzten 20 Jahren dazu geführt, dass eine größere Anzahl von Genorten, die für die Widerstandskräfte gegen den Echten und Falschen Mehltau verantwortlich sind – sogenannte Resistenzloci –, identifiziert werden konnten”, fasste Trapp 2019 zusammen. Die Sämlinge, die die Peronospora- und Oidiumtestung im Gewächshaus überstanden haben, werden seit einigen Jahren auf diese Resistenzloci untersucht. Durch diese Analysen ist es möglich, schon sehr früh eine erste Einschätzung der zu erwartenden Resistenz der Sämlinge zu gewinnen. Es ist allerdings zu beachten, dass über diese bekannten Resistenzloci hinaus auch andere Faktoren ihren Beitrag zur Resistenz der Sämlinge, Zuchtstämme und Sorten beitragen können. So zum Beispiel physiologische Eigenschaften, wie eine starke Behaarung der Blattunterseite, die bei der Abwehr von Peronospora eine Rolle spielen kann.
Bisher wurden die einzelnen Sämlinge als Einzelpflanzen im Freiland angepflanzt. Zukünftig soll das Holz ausgewählter Sämling veredelt und als Zuchtstamm in Quartieren mit mehreren Reben gepflanzt werden. Diese Maßnahme ermöglicht es, die folgenden Untersuchungen auf eine breitere Basis zu stellen und so deren Ergebnisse schneller verfügbar machen zu können.
Zuchtstammprüfung
In den Zuchtstamm- und Sämlingsflächen wird auf jegliche Applikation von Pflanzenschutzmitteln verzichtet. In diesen Versuchsgärten ist es ab dem dritten Standjahr möglich, die Resistenzen der Blätter, Gescheine und des Stielgerüstes gegen den Echten und Falschen Mehltau zu untersuchen. Gleichzeitig können über mehrere Jahre die phänologischen Entwicklungsstadien Austrieb, Blatt- und Triebentwicklung, Blütezeitpunkt, Reifeverlauf sowie die weinbaulichen Parameter Wuchs, Ertrag, Traubenarchitektur und Botrytisbefall bestimmt werden.
Bei ausgesuchten Sämlingen und Zuchtstämmen werden während des Reifeverlaufs in gleichmäßigen Abständen wöchentlich oder vierzehntägig Beerenproben gezogen. Dazu werden rund 150 Beeren pro Variante entnommen. Es wird darauf geachtet, dass in gleichen Teilen Beeren aus dem oberen, mittleren und unteren Traubenteil sowie gleichmäßig von der Sonnen- und Schattenseite einbezogen werden. Die Früchte werden eingemaischt.
Nach einer Standzeit von 30 Minuten werden sie mit einer Stempelpresse zweimal für zwei Minuten und mit rund 2 bar gepresst. Anschließend wird die Probe geschwefelt und bei 5 °C bis 8 °C über Nacht gelagert. Der vorgeklärte Saft wird am nächsten Tag mittels FTIR-Analyse geprüft, es werden unter anderem Mostgewicht, Säure und pH-Wert untersucht. Aus den Trauben ausgesuchter Sämlinge und Zuchtstämme erfolgen dann ab dem dritten Standjahr erste Weinausbauten, die einer ersten Einordnung der Weinqualität dienen.
Mehrere neue Zuchtstämme
In den letzten beiden Jahrzehnten sind im Weinbauinstitut mehrere neue Zuchtstämme entstanden, die sich derzeit in der Testung befinden. Im Folgenden wird auf einen Teil dieser Zuchtstämme eingegangen. Die für die Widerstandskräfte gegen den Echten und Falschen Mehltau verantwortlichen Resistenzloci sind bezüglich ihrer Stärke unterschiedlich einzuordnen – siehe Tabelle 1 und 2. Für die in Tabelle 3 genannten Zuchtstämme ist darauf basierend zu erwarten, dass für den Falschen Mehltau eine gute bis sehr gute und für den Echten Mehltau eine sehr gute Resistenz vorliegt.
Daraus folgt, dass gerade bei der Resistenz gegen Oidium eine wesentliche Verbesserung zu erwarten ist. Dies hat sich bei den bisherigen Bonituren der einzelnen Zuchtstämme bestätigt.
Piwis und Klimawandel
Die Klimaerwärmung hat in den letzten Jahren zu einer immer früheren und schnelleren Entwicklung der Reben geführt. Dadurch ist zu den bisherigen Zuchtzielen, wie beispielswiese
  • hohe Pilzwiderstandsfähigkeit,
  • aufrechter Wuchs,
  • lockere Traubenstruktur,
  • dickere Beerenhaut
vor allem der langsamere Ablauf der Entwicklungszyklen der Reben in den Fokus gerückt. Damit besteht die Möglichkeit, der mittlerweile erheblich früheren Traubenreife, die zu
  • erhöhten Alkoholgehalten der Weine,
  • geringeren Säuregehalten der Moste und Weine und damit verbunden hohen pH-Werten der Moste und
  • verringerter Aromatik der Beeren führt,

    entgegenzuwirken.
Besonderer Handlungsbedarf besteht vor allem in Lagen, die durch sehr hohe Sonneneinstrahlung und sehr gutes Kleinklima einen frühen Austrieb und eine schnelle Rebenentwicklung forcieren. Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, spielt die Züchtung von Sorten mit späterem Austrieb, Blüte, Véraison und Reife in der Zukunft eine zunehmende Rolle.
Reifeentwicklung ausgesuchter Zuchtstämme
Abbildung 1: Mostgewicht ausgesuchter Piwi-Zuchtstämme im Vergleich zu Spätburgunder und Grauburgunder im Jahr 2021
Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Reifeentwicklungen sind die wöchentlich gemessenen Mostgewichte der Beerenproben des roten Zuchtstammes FR 628-2005r, der weißen Zuchtstämme FR 737-2006 und FR 740-2006 sowie der Standardrebsorten Grau- und Spätburgunder aus einer Weinbergslage in der Abbildung 1 von Ende August bis Anfang Oktober vergleichend dargestellt.
Es zeigt sich, dass der rote Zuchtstamm FR 628-2005r eine deutlich langsamere Mostgewichtsentwicklung als der Spätburgunder hat. Daraus folgt, dass dieser Zuchtstamm zum Beispiel in eine früh austreibende Weinbergslage gepflanzt werden sollte. Der Aus-triebszeitpunkt liegt etwa zehn Tage nach Spätburgunder. Der Zuchtstamm zeigt einen aufrechten Wuchs und eine geringe Entwicklung von Geiztrieben. Der Blütezeitpunkt liegt kurz vor dem des Spätburgunders, der Reifezeitpunkt aber zehn Tage nach Spätburgunder. Die bisherigen Bonituren bescheinigen diesem Zuchtstamm eine sehr hohe Beerenhautstabilität.
Die Erträge liegen in einem Korridor zwischen 80 und 120 kg/a bei einem Mostgewicht von 85 bis 100 °Oe. Die Weine zeichnen sich durch eine hohe Farbstabilität aus. Der Zuchtstamm bringt einen fruchtigen Weintyp, Richtung Süßkirsche und Beerenfrüchten, mit einer komplexen Phenolstruktur.
Zwei weiße Zuchtstämme
Beispielhaft für weitere Prüflinge, bei denen von einem hohen Resistenzpotenzial ausgegangen werden kann, soll hier auf die weißen Zuchtstämme FR 737-2006 und FR 740-2006 eingegangen werden.
Bei FR 737-2006 konnte in ersten Ergebnissen festgestellt werden, dass die Entwicklung bezüglich des Austriebs und der Blatt- und Fruchtentwicklung nahe am Grauburgunder liegt. Er zeigt eine auffallend lockere Traubenstruktur. Die Entwicklung des Mostgewichts verläuft annähernd parallel zum Grauburgunder.
Die Bonituren von FR 740-2006 zeigen einen Austrieb einige Tage vor Grauburgunder. Die Blatt- und Fruchtentwicklungen zeigen einen etwas langsameren Verlauf. In der Reifephase konnte dann in der Mostgewichtsentwicklung ein Vorsprung gegenüber Grauburgunder festgestellt werden.
Fazit
Das Staatliche Weinbauinstitut Freiburg betreibt seit mehreren Jahrzehnten umfangreiche Züchtung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten. Die Arbeiten in der klassischen Rebenzüchtung haben in den letzten Jahren zu Verbesserungen vor allem in der Resistenz gegen den echten Mehltau geführt. Neben dem roten Zuchtstamm FR 628-2005r sind weitere in den Fokus gerückt. In diesem Text sind die beiden Weißen FR 737-2006 und FR 747-2006 beispielhaft für diese neue Generation kurz beschrieben. Diese Kreuzungskombinationen lassen eine deutlich verbesserte Resistenz erwarten und können so zu einer weiteren Verringerung der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln beitragen. Mit einer auf die Einzellage angepassten Rebsortenwahl besteht so die Möglichkeit, den veränderten Anforderungen des Klimawandels Rechnung zu tragen.