Fachliches | 04. Juni 2016

Manuell entblättern – nur mit Maß

Von Ernst Weinmann, Referat Weinbau, Versuchswesen, Staatliches Weinbauinstitut Freiburg
Die Entblätterung der Traubenzone ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Schon lange ist bekannt, dass diese Maßnahme die Belüftung und Abtrocknung der Trauben fördert und so zur Gesunderhaltung der Ernte beiträgt.
Darüber hinaus werden unter anderem die verbesserte Besonnung, eine Auflockerung der Traubenstruktur sowie eine verbesserte Anlagerung von Pflanzenschutzmitteln als positive Effekte genannt. Es können aber auch negative Effekte auftreten wie Sonnenbrand, erhöhte Hagelanfälligkeit und unzureichende Stickstoffversorgung der Moste. Ziel einer Entblätterung muss es sein, die Maßnahme so durchzuführen, dass sie möglichst einen positiven Einfluss auf die Traubengesundheit nimmt.
Versuchsdurchführung
Entblätterungsvariante mit zwei entfernten Blättern zum Termin zwei Wochen nach der Blüte
Um die Auswirkungen unterschiedlicher Entblätterungsmaßnahmen und -termine zu untersuchen, wurden in den vergangenen Jahren am Weinbauinstitut Freiburg (WBI) Versuche durchgeführt. Wie in der Abbildung 1 unten dargestellt, wurde in diesen Versuchen kurz nach der Blüte entblättert (Termin 1), zwei Wochen nach der Blüte (Termin 2), zum Zeitpunkt Erbsengröße zwei bis vier Tage nach dem ersten Gipfeln (Termin 3) und etwa zehn bis zwölf Tage vor dem Weichwerden der Beeren (Termin 4). Dabei wurden im Vergleich zur Kontrolle bei den Terminen 1 und 2 jeweils zwei oder fünf Blätter pro Trieb, bei den Terminen 3 und 4 jeweils zwei, fünf und sieben Blätter pro Trieb entfernt.
Grauburgunder
Die Entblätterungstermine 2014 und 2015 für den Versuch mit der Rebsorte Grauburgunder am Blankenhornsberg sind ebenfalls in der Abbildung 1 dargestellt. Die Varianten werden in den weiteren Abbildungen so abgekürzt, dass die erste Ziffer den Termin und die zweite Ziffer die Anzahl der entfernten Blätter angibt. An jedem vorhandenen Trieb wurde manuell entblättert – ausgehend von der Triebbasis. Dabei wurden an den Insertionsstellen, an denen die Blätter entfernt werden, auch die Geiztriebe beseitigt. Die Versuchsanlage wurde so spät wie möglich entgipfelt. Die Doppel- und Kümmertriebe wurden in den Versuchen ausgebrochen. Ab Reifebeginn wurden zur Untersuchung der Reifeentwicklung im zweiwöchigen Rhythmus Proben mit je rund 150 Beeren pro Wiederholung innerhalb jeder Variante entnommen und mittels FTIR-Analyseverfahren (Grape Scan) untersucht. Die Wiederholungen wurden getrennt voneinander gelesen. Dabei wurde jede einzelne Wiederholung getrennt nach gesundem und krankem Lesegut geerntet und gewogen. Die Mostinhaltsstoffe der gesunden Trauben wurden dann für die jeweiligen Varianten analysiert. Aus den gesunden Trauben der vier Wiederholungen wurde jeweils ein Versuchswein ausgebaut.
Ertrag und Gesundheit
Zwischen den Erträgen und den unterschiedlichen Entblätterungsvarianten und -terminen konnte in den vergangenen Jahren, bezogen auf den Flächenertrag, kein Zusammenhang festgestellt werden. Die Heterogenität der Flächenerträge bei den unterschiedlichen Varianten ist auf die unterschiedlichen Stockerträge zurückzuführen. Auch bei der Betrachtung der Flächenerträge über mehrere Jahre sind keine Zusammenhänge festzustellen. Prozentual lagen die Ertragsverluste im Jahr 2015 in den Varianten zwischen 0 und 4 %. In diesem Jahr waren aufgrund der Trockenheit bis in den Herbst hinein keine höheren und unterschiedlichen Faulgutanteile zu erwarten.
Anders sah der Befall im Jahr 2014 aus. Betrachtet man hier die Varianten mit zwei entfernten Blättern in der Abbildung 2, wie sie in der Praxis empfohlen werden, liegt der Anteil  an botrytisfaulem Material zwischen 10 und 30 %. Dabei schneidet der Termin 3 am besten ab. Dieses Ergebnis wird von Ohler (2010) bestätigt. Hinter dem Termin 3 folgen bezüglich der Botrytisvermeidung die Termine 2, 1 und die Kontrolle. Am schlechtesten hat der Termin 4 abgeschlossen. Hier konnte sich der Botrytispilz vor der Entblätterung etablieren und seine Entwicklung so voranschreiten, dass die Entblätterung keine Wirkung mehr zeigte.
Mostanalyse
Bezüglich der Mostgewichte in den zwei Abbildungen 3 und 4 sind bei den Auswertungen der Versuche in den Jahren 2014 und 2015 lediglich kleine Tendenzen festzustellen. Bei den beiden frühen Entblätterungen waren zum Zeitpunkt der Lese auch bei den stärkeren Entblätterungsintensitäten keine Auswirkungen festzustellen. In einigen Fällen zeigte sich zwar zu Beginn der Reifeuntersuchungen bei diesen Varianten ein Mostgewichtsrückstand, der allerdings durch Kompensationsreaktionen der verbliebenen Blätter vollständig ausgeglichen werden konnte. Auch Ergebnisse aus Luxemburg weisen bei den unmittelbar nach der Blüte durchgeführten Entblätterungen auf Kompensationsreaktionen hin (Molitor, 2011). Bei späten Entblätterungsterminen war die Zuckereinlagerung bei den zu stark entblätterten Varianten tendenziell geringer. Das geringere Mostgewicht kann bei diesen Varianten in manchen Jahren nicht mehr ganz kompensiert werden. Die Gehalte an hefeverwertbarem Aminosäurestickstoff im Most (NOPA) gelten als ein Indikator für die Hefeernährung, den Gärverlauf und damit für die spätere Qualität der Weine. Die NOPA-Werte lagen 2015 aufgrund der Trockenheit unter den Werten von 2014. Zum Teil liegen die Werte im Jahr 2015 auch unter 150 mg/l, die Geßner (2010) als Mindestmaß für eine ausreichende Stickstoffversorgung der Moste genannt hat. Betrachtet man die  NOPA-Werte der Kontrolle, T 1, 2 Bl./Tr., T 2, 2 Bl./Tr., T 3, 2 Bl./Tr. und T 4, 2 Bl./Tr. im Jahr 2015 (Abbildung 5), so ist der NOPA-Wert der Variante T 3, 2 Bl./Tr am höchsten, gefolgt von der Variante T 2, 2 Bl./Tr., der Kontrolle sowie den Varianten T 1, 2 Bl./Tr. und T 4, 2 Bl./Tr.. Auch bei Ohler (2010) zeigen die Handentblätterungsvarianten umso höhere NOPA-Werte, je später die Entblätterung bei der untersuchten Spätburgunder-Anlage durchgeführt wurde.
Einfluss auf die Weinqualität
Vergleichende Verkostungen der ausgebauten Weine aus verschiedenen Entblätterungsversuchen ergaben interessante Unterschiede in der sensorischen Wahrnehmung. In den zurückliegenden Jahren wurden die Weine der Varianten mit frühen Entblätterungsterminen aufgrund einer nervigen, phenolbeladenen Struktur, oft gepaart mit einer beginnenden UTA-Ausprägung, in der Regel schlechter bewertet als die Weine der Varianten mit späteren Entblätterungsterminen. Oft erreichten die Weinqualitäten signifikante Unterschiede zugunsten der späteren Entblätterungstermine.
Schlussbetrachtung
Die vorliegenden Versuchsergebnisse aus den Jahren 2014 und 2015 zeigen, dass bezüglich der Erntemenge und des Mostgewichts bei den hier aufgeführten Maßnahmen keine Zusammenhänge mit den Entblätterungsmaßnahmen nachzuweisen sind. Manuelle Eingriffe im Umfang von drei bis vier Blättern zur Blüte führen nach Prior (2006) zu einer Ertragsminderung von 20 %. Daher sind die Entblätterungsmaßnahmen von der Praxisseite so zu steuern, dass eine maximale Abtrocknung der Laubwand stattfindet und so eine wirkungsvolle Maßnahme gegen den Befall von Botrytis und Essigfäule durchgeführt wird.
Andererseits sollte eine möglichst hohe Traubenqualität erreicht werden. Wie Versuche zeigen, wird Botrytis vermieden durch Entblätterungen zum Termin 3, insbesondere in nassen Sommer- und Herbstmonaten zu den Terminen 1 und  2. Im Jahr 2014 lag diese Variante besser als die Termine 1 und 2. Über die Jahre hinweg ist die Weinqualität aus frühen Entblätterungsvarianten geringer. Der Enblätterungstermin 4 vor Beginn des Weichwerdens der Beeren wirkt kaum gegen Botrytis und kommt nicht infrage. Das ergibt sich aus den Daten aus dem Jahr 2014. Diese Ergebnisse decken sich mit den Ergebnissen von Ohler (2010).       
Fazit
Die Entblätterung zehn bis zwölf Tage vor dem Weichwerden der Beeren ist zu spät, da sich die Botrytis dann bereits etabliert hat. Da zum Termin 2 die Kapazitäten in den Betrieben meist sehr stark mit Heftarbeiten gebunden sind, bietet sich Termin 3 an –  zur Erbsengröße der Beeren und wenige Tage nach dem ersten Gipfeln. Zu diesem Zeitpunkt sind die Vor- und Nachteile meist bestmöglich ausbalanciert. Von einer zu starken Entblätterung, beispielsweise von fünf Blättern pro Trieb oder mehr, ist immer abzuraten, da die an der Rebe verbleibenden Blätter vor allem bei späteren Entblätterungsterminen den Versorgungsverlust häufig nicht mehr ausreichend kompensieren können. Bei der Entblätterungsintensität ist zu beachten, dass eine stärkere Belichtung der Trauben zu einer Erhöhung des Anthocyan- und Phenolgehaltes in den Beeren führt. Was bei Rotweinen zu mehr Körper, Struktur und Fülle führt, hat bei Weißweinen zu geringe Fruchtigkeit oder Fruchtwahrnehmung in den Weinen zur Folge. Das WBI empfiehlt daher, bei Weißweinsorten die untersten beiden Blätter je Trieb und bei Rotweinsorten die untersten drei Blätter je Trieb inklusive der Geiztriebe zu entfernen. Dabei wird das häufig kleinere Blatt an der Triebbasis nicht mitgezählt, aber trotzdem entfernt.