Wein und mehr | 04. Oktober 2019

Methusalems unter den Rebstöcken

Von Werner Bussmann
Sie sind alle um die sechzig Jahre alt, die Rebstöcke, um die es in diesem Beitrag geht. Mit viel Stolz können einige wenige Winzer von alten Rebgrundstücken erzählen, die schon ihr Vater oder sogar ihr Großvater bepflanzt hat. In solchen meist kleinflächigen Parzellen mit kurzen Reihen stehen sie noch, die Rebstockveteranen, die mit besonders viel Herzblut, manchmal sogar noch in Einzelstockerziehung, überleben durften.
Spätburgunder am Batzenberg, Pflanzjahr 1960, Stammkopfbreite bis zu 48 cm.
Gutedel, eine Spezialität des Markgräflerlenades aus dem Pflanzjahr 1955
Die Erträge der Alten sind bescheiden, die Qualität mitunter aber hervorragend. Die alten Rebstöcke mit den „dicken Köpfen” und den manchmal extrem verbogenen Formen haben dennoch eines – Charakter. Im Winterhalbjahr, bei Nebel oder im Dämmerlicht strahlen diese knorrigen Urgestalten etwas Geheimnisvolles aus. Bei genauerer Betrachtung und mit etwas Phantasie können manche der „unförmigen” Rebstöcke, im abgestorbenen Zustand mancherorts auch Rebknorzen genannt, als „tierähnliche Rebgeister” wahrgenommen werden.
Die Spuren des Alters sind bei genauerer Betrachtung gut erkennbar. Die außergewöhnliche Stammdicke sowie Moospolster und Flechtenbewuchs können ein äußeres Merkmal sein, müssen es aber nicht. Ob ein Rebstock ein Alter von vierzig oder sechzig Jahren hat, ist optisch schwer abzuschätzen. Dies liegt auch an der Rebsorte, an dem vom Winzer beeinflussten Stockaufbau und an der Erziehungsmethode. Letztendlich sollte man nur der Pflanzjahrangabe des Winzers vertrauen, so wie diese in der Weinbaukartei steht. Es ist immer wieder erstaunlich, dass an diesen bizarren Unikaten noch Trauben zur Reife kommen. Bei manchen ist die Altersgesundheit beachtlich. Dies ist dann gegeben, wenn das Hauptorgan, nämlich die Wurzel, noch gesund und vital ist.
Die ersten Anzeichen von Altersschwäche sind zum Beispiel dann zu erkennen, wenn sich Baumpilze ansiedeln und im Rebholz Nährstoffe „anzapfen”.
Viele Gefahren haben sie überstanden, die alten Rebstöcke mit ihren tiefreichenden Wurzeln. Früher ging eine dieser Gefahren von Pferden aus, die schnaubend den Pflug durch die Rebgassen zogen und den einen oder anderen Rebstock „verwundeten”. Auch den Jahrhundertwinter 1962 auf 1963, den Extrem-Sommer 2003 und die starken Spätfröste im April 2017 haben einige von ihnen überlebt. Stehen sie als Kranke oder als „Dürrlinge” in der Zeile, muss ausgestockt werden. Aufgesägt kommen sie dann in den Kachelofen und erwärmen so zum letzten Mal das Herz des Winzers, aber Erinnerungen bleiben wach.

Mit gut zwanzig Jahren erwachsen...
Gewürztraminer in der einzellage Castellberg bei Ballrechten-Dottingen, Pflanzjahr 1961
Vom Ertragsvermögen her kann man sagen, dass ein Rebstock mit etwa zwanzig Jahren „erwachsen” wird. Die heute über sechzigjährigen Rebstöcke haben dem Weinliebhaber, je nach Rebsorte, grob geschätzt etwa 150−200 Liter köstlichen Wein „geschenkt”.
Nach dem dreißigsten Standjahr überlegen sich manche Winzer, ob es noch Sinn macht, ein solches Rebstück weiter zu bewirtschaften. Aus produktionstechnischer und betriebswirtschaftlicher Sicht ist diese Überlegung nachvollziehbar. Vielleicht wird aber der eine oder andere Winzer durch diesen Beitrag motiviert, seine alten Rebstöcke durch eine weitere behutsame Pflege bis ins sechzigste Lebensjahr und darüber hinaus zu begleiten. Denn nicht jeder Winzer und nicht jede Winzergenossenschaft kann Wein von solchen Rebstöcken anbieten. Mit solchen Besonderheiten sollte man werben und dadurch Neugierde wecken. Zum Beispiel mit einem Originalfoto des alten Rebstocks und einem deutlichen Hinweistext, zum Beispiel „Alte Rebe 1954” oder „Weinstock 1954”.
 
Übersicht unserer ältesten Rebstöcke
Alter dicker Rebstockkopf bei Heitersheim, der dem Kopf eines fabelhaften Rüsseltiers ähnelt.
Chardonnay in der einzellage Schliengener Sonnenstück, Pflanzjahr 1955
Die ältesten Rebstöcke Deutschlands stehen angeblich im südpfälzischen Winzerdorf Rhodt. Schriftliche Belege zum Pflanzjahr dieser teilweise noch tragenden Gewürztraminer gibt es nicht. Deshalb ist das mündlich überlieferte Alter von etwa 400 Jahren historisch nicht „sattelfest”. Bemerkenswert und nachvollziehbar ist, dass diese niederstämmigen Rebstöcke seit 1968 unter Naturschutz stehen. Nachfolgend ist eine Auswahl „altehrwürdiger Rebstöcke” mit einem Alter von etwa sechzig Jahren gelistet. Sie alle stehen im Weinbaubereich Markgräflerland, mit Angabe des Pflanzjahres, der Rebsorte und der Einzellage (Standort):
  • 1954: Spätburgunder, „Staufener Schlossberg” (Gewann Roter Berg)
  • 1954: Weißburgunder, „Staufener Schlossberg” (Gewann Roter Berg)
  • 1955: Chardonny, „Schliengener Sonnenstück”
  • 1955: Gutedel, „Schliengener Sonnenstück”
  • 1958: Müller-Thurgau, Ballrechten-Dottingen, „Castellberg”
  • 1958: Müller-Thurgau, Müllheim, „Feldberger Paradies”
  • 1960: Spätburgunder, Ehrenkirchen-Norsingen, „Batzenberg”
  • 1961: Gewürztraminer, Ballrechten-Dottingen, „Castellberg”  (Fohrenberg, Gewann Ritteberg)

Quelle: „Der älteste Weinberg der Welt”, Internet-Recherche, Weingut Stefan Oberhofer, Edesheim