Nachrichten | 04. November 2021

Noch so ein Jahr wäre für viele das Aus

Von Birgit Schüler
Wie kann der biologische Weinbau in Zeiten des Klimawandels bestehen? Diese Frage stellte Reinhold Pix, Landtagsabgeordneter der Grünen und deren Sprecher für Weinbau, der Biowinzer und Weinbauexperten nach Heitersheim eingeladen hatte.
Solange keine Kaliumphosphonate zur Verfügung stehen, könne er keinem Winzer die Umstellung empfehlen, sagte Weinbauverbands-Vizepräsident Martin Schmidt (rechts). Reinhold Pix, Initiator und Moderator des Abends (links), war in dieser Sache bisher fünf Mal vergebens in Brüssel.
Wie aktuell und existenziell die Thematik ist, machte der Zuspruch für die Veranstaltung deutlich. Anstatt in der Vinothek begrüßte im Weingut Zähringer Hausherr Fabian Zähringer 50 Berufskolleginnen und -kollegen in der Abfüllhalle. Reinhold Pix brachte  persönliche Erfahrung und Betroffenheit mit. Sein Sohn, der von ihm sein Demeter-zertifziertes Weingut in Ihringen übernahm, habe in diesem Herbst aufgrund von Frühaustriebsfrösten und Peronospora-Befall gerade mal ein Viertel eines normalen Jahrgangs einbringen können.
Damit liegt er im Schnitt der Biobranche: Trotz enormem Arbeitsaufwand und bisweilen dreitägigen Spritzintervallen erlitten die ökologisch wirtschaftenden Betriebe existenzbedrohende Ertragseinbußen. Seit das als Pflanzenstärkungsmittel eingeführte Kaliumphosphonat 2013 in der EU als Pflanzenschutzmittel zugelassen wurde, darf es im ökologischen Anbau nicht mehr eingesetzt werden. Pix ist in dieser Sache bereits fünf Mal in Brüssel gewesen, wie er sagte – vergebens.
Auch Martin Ries vom Referat für Ökologischen Weinbau im Stuttgarter Ministerium Ländlicher Raum  hat in Brüssel frustrierende Erfahrungen gemacht. Minister Peter Hauk habe sich bereits früh im Jahr an die EU-Kommission gewandt, um den Einsatz von Kaliumphosphonat zu erwirken. Die ablehnende Antwort sei am 29. September gekommen.
Winzer wollen Biodiversität
Dass der Klimawandel ursächlich für die Misere ist, liegt für Experten und Winzer auf der Hand. „Der immer frühere Austrieb macht die Reben anfällig für Spätfröste”, referierte Dr. Michael Breuer vom Weinbauinstitut Freiburg. „Der Juni ist bereits jetzt 1,5 °C wärmer als in den 1980er-Jahren. Dieses Jahr kamen noch große Regenmengen dazu. Wir sind mittendrin im Klimawandel.” Das Weinbauinstitut sei an allen relevanten Themen dran – Rebsortenforschung und Piwis, Frostschutz, Kellerwirtschaft, Optimierung des Kupfereinsatzes. Zudem soll in das VitiMeteo-Prognosemodell auch die Wirkungsdauer der Produkte integriert werden.
Wie die im Biodiversitätsstärkungsgesetz angestrebte Einsparung von 40 bis 50 % an Pflanzenschutzmitteln und die Ausdehnung des ökologischen Anbaus auf 30 bis 40 % der Fläche gelingen soll, darauf hatte allerdings keiner der Experten eine Antwort. Jakob Moise vom Beratungsdienst Ökologischer Weinbau stellte gar die Frage nach der ökologischen Sinnhaftigkeit: „Wer will angesichts des enormen Arbeitsaufwandes und der hohen Ertragsausfälle nach diesem Jahr noch umstellen?”
Der Wille sei bei vielen zwar da, die Winzer möchten ihren Beitrag zur Biodiversität leisten. Bei Bodenpflege und Düngung werde bereits häufig nach ökologischen Richtlinien gewirtschaftet, doch beim Pflanzenschutz wolle man sich verständlicherweise alle Möglichkeiten offenhalten.  
Erhöhung des Öko-Anteils nur mit Piwis
Das sah Martin Schmidt, Vizepräsident im Badischen Weinbauverband und seit Jahrzehnten überzeugter Öko-Winzer, ähnlich: „Solange keine Kaliumphosphonate zur Verfügung stehen, kann ich keinem Winzer die Umstellung empfehlen.” Eine Ausweitung des Ökoweinbaus könne er sich nur mit pilzwiderstandfähigen Rebsorten vorstellen. Hier sieht er besonders für die Nebenerwerbswinzer ein großes Potenzial. „Wir haben immerhin 15.000 ‚Gärtner im Garten Deutschlands‘. Wenn diese auf Piwis umschwenken, wäre schon einiges erreicht.
Paulin Köpfer, Betriebsleiter des Weinguts Zähringer und Vorsitzender von Ecovin Baden, beschrieb die Situation als dramatisch. Noch so ein Jahr würde für viele das Aus bedeuten. Die Umstellung auf Piwis brauche Zeit. „Die Politik muss am Thema Kaliumphosphonate dranbleiben. Die Gesellschaft wünscht sich mehr Bio, die Winzer sind dafür bereit, wir dürfen diese Chance nicht vertun.”
Fabian Zähringer forderte einen fairen Wettbewerb für Bio-Lebensmittel. „Konventionelle Produkte sind nur so günstig, weil die Folgekosten nicht eingepreist sind.” Die Politik müsse hier einen gerechten ordnungspolitischen Rahmen schaffen.
Nur langfristig
Lob gab es von ihm für die vom Land subventionierte Frostschutzversicherung. Er sei froh, dass er sich dafür entschieden habe. Das werde ihn dieses Jahr retten, sagte er.
Nach den Experten-Statements kamen auch die eingeladenen Winzer zu Wort. Neben fairen Preisen und einer gerechten Bezahlung für die Arbeit erwartet man sich vor allem mehr politischen Druck in Brüssel für die Belange der Biowinzer.
Deutschland sei der größte Nettozahler in der EU, da könne man auch einmal Forderungen stellen. Durch den Klimawandel und die veränderte Virulenz des Peronospora-Erregers habe man völlig neue Sachargumente, die man bei der Kommission vorbringen müsse.
Einig waren sich alle, dass Piwis Teil einer langfristigen Lösung des Problems sind. Hier müsse nicht nur die Forschung – im Weinbauinstitut ist die entsprechende Stelle seit Jahren nur kommissarisch besetzt – sondern auch die Vermarktung gefördert werden.
Da die Umstellung jedoch Jahrzehnte dauere und man spätestens zur Saison 2022 eine Lösung brauche, seien andere Strategien gefragt. Reinhold Pix erinnerte an 2003, als wegen der außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse auch in Deutschland die Säuerung von Wein und Most zugelassen wurde. „Diese Reißleine müssen wir jetzt auch für die Pero-Problematik ziehen.” 
Ob das gelingt, wird das nächste Treffen mit der EU-Kommission zeigen: Am 8. Dezember will man in Brüssel das Thema Kaliumphosphonate wieder zur Sprache bringen.