Fachliches | 03. Juni 2020

Dauerwirkung von Pero-Mitteln

Von Gottfried Bleyer
Bisher unveröffentlichte Versuche am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg über mehrere Jahre haben ergeben, dass mit einer Behandlung zur Schrotkorngröße der Beeren ein langanhaltender Schutz der wachsenden Trauben gegen Rebenperonospora gewährleistet wird.
Die Experimente mit Versuchsreben wurden unter einem Glasdach durchgeführt.
Die „abgehende Blütespritzung” wird meist als die wichtigste Behandlungsmaßnahme des Jahres bezeichnet. Die weinbauliche Praxis und auch die Forschung gehen davon aus, dass die Gescheine und jungen Beerchen sich im Zeitraum von Blütebeginn bis kurz nach der Blüte in der anfälligsten Phase gegenüber Rebenperonospora (Falscher Mehltau) und Oidium (Echter Mehltau) befinden. Gleichfalls wird angenommen, dass nach dem Abwurf der Blütenkäppchen auf den Fruchtknoten kein Fungizidschutz mehr vorhanden ist, auch wenn kurz vor der Blüte eine Behandlung durchgeführt wurde. Jede Winzerin und jeder Winzer weiß um die Schwierigkeit, den Termin „abgehende Blüte” genau einzuhalten. In den Betrieben gibt es aufgrund der unterschiedlichen Reblagen und Rebsorten in vielen Jahren Unterschiede bis zu 14 Tagen.
Fokus auf der Vorblüte
In den Strategieversuchen zur Bekämpfung der Rebenperonospora und auch im Modellbetrieb Staatsweingut Freiburg wird das Hauptaugenmerk bezüglich der Auswahl und der Terminierung der Präparate auf den Vorblütebereich gelegt. Mit diesem Vorgehen wird der Aufbau einer Krankheitsepidemie in der Hauptwachstumsphase unterbunden. Die Behandlung in die „abgehende Blüte” steht seit vielen Jahren nicht mehr im Fokus. Die Resultate der Versuche sowie die Erfahrungen im Staatsweingut sind durchweg positiv. Bisher richten sich die Behandlungsintervalle in der Strategie zur Bekämpfung der Rebenperonospora nach dem Wachstum der Blätter − siehe Sonderbeilage „Rebschutz 2020” Badischer Winzer, März 2020. Was fehlt, sind Daten und Ergebnisse im Bereich der Wirkungsdauer von Fungiziden an den Gescheinen und Trauben. Bisher unveröffentlichte eigene Versuche aus den Jahren 2010 und 2011 ergaben, dass mit einer Behandlung zur Schrotkorngröße der Beeren ein langanhaltender Schutz der wachsenden Trauben gewährleistet war. Weiterhin ist aus vielen Untersuchungen bekannt, dass die Empfindlichkeit der Trauben ab Beginn Traubenschluss sehr stark abnimmt − Stichwort: „ontogenetische Resistenz”. Bisher gibt es wenige Erkenntnisse zur Dauerwirkung einer Fungizidbehandlung um die Rebblüte. Um diese Wissenslücke bei der Rebenperonospora zu schließen, wurde am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg ein spezielles Versuchsdesign entworfen und im Verlauf der Jahre 2013 bis 2018 stets verbessert. 
Versuchsaufbau
Parzellenspritzgerät von Schachtner im Versuch
Künstliche Infektion der Gescheine mit hoch konzentrierten Pero-Sporen
Die Versuche wurden in allen Jahren an mehrjährigen Topfpfropfreben der Rebsorte Müller-Thurgau nach dem Versuchsdesign zur Fungizid-Dauerwirkung durchgeführt. Die Behandlungen erfolgten mit einem Parzellenspritzgerät der Firma Schachtner. Die Reben befanden sich zwischen dem phänologischen Entwicklungsstadium BBCH 57 – die Gescheine sind voll entwickelt und die Einzelblüten spreizen sich – und BBCH 60 – Blütebeginn, die ersten Blütenkäppchen lösen sich vom Blütenboden. Nach der Blüte und dem Erreichen der phänologischen Entwicklungsstadien BBCH 71 – Fruchtansatz – bzw. 73 – Beeren sind schrotkorngroß – erfolgten im Jahr 2013 eine künstliche Infektion und ab dem Jahr 2014 zwei künstliche Infektionen der Gescheine bzw. der jungen Trauben. Die Infektionen wurden mit dem „Pero-Hausstamm” des WBI Freiburg mit rund 25000 bis 30000 Sporangien je Milliliter durchgeführt.
Nach Sichtbarwerden der Symptome an den unbehandelten Kontrollreben wurde der Befall bonitiert. Eine Variante umfasste jeweils sechs Topfpfropfreben. An den sechs Reben waren in der Regel zwischen 25 und 35 Trauben, deren Befall bewertet wurde. Die Versuchsreben befanden sich während der Experimente unter einem Glasdach und waren damit vor äußeren Einflüssen geschützt. In den Jahren 2013 bis 2018 wurden sieben bis fünfzehn verschiedene Varianten geprüft.
Ziel des ersten Versuchsjahres 2013 war die Testung möglichst vieler Präparate mit verschiedenen Wirkmechanismen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sowohl Fungizide mit einer Kontaktwirkung als auch Präparate, die in Reborgane eindringen und eventuell auch transportiert werden, sowie deren Kombinationen wurden geprüft. Ab der Saison 2014 wurde die Auswahl der Varianten bewusst konzentriert, um das Augenmerk auf bestimmte Präparate und deren Kombinationen zu legen. Damit wurde der Grundstein für eine mehrjährige Analyse der Daten gelegt.
Ergebnisse
Alle Einzelergebnisse der sechs Jahre darzulegen, würde den Rahmen dieses Fachartikels sprengen. Deshalb wurden einige Resultate einzelner Jahre und die Zusammenfassung mehrerer Jahre exemplarisch ausgewählt, da diese auch die Trends der nicht beschriebenen Versuche treffend widerspiegeln.
Abb. 2
Versuchsjahr 2013:
Die Behandlung mit den Prüfmitteln erfolgte am 3. Juni 2013. Im ersten Jahr 2013 wurde nur eine künstliche Infektion am 20. Juni ausgeführt. Die Bonitur des Rebenperonospora-Befalls an den Trauben der zwölf Varianten wurde am 15. Juli vorgenommen – Abbildung 2. Die unbehandelte Kontrolle zeigte eine Befallsstärke von 41,7 %. Die beste Wirkung war bei den Varianten Enervin, Melody Combi, Pergado, Mildicut und Folpan 80 WDG + Frutogard zu verzeichnen. Sie lagen unter 1 % Befallsstärke. Sehr gute bis gute Wirkung zeigten auch die Prüfglieder Profiler, Folpan 80 WDG + Veriphos und Folpan 80 WDG gefolgt von Polyram WG und Folpan 80 WDG. Die Befallsstärken betrugen nur 1,4 bis 8 %. Die Unterschiede waren zwar deutlich, rechnerisch aber gegen die besseren Varianten nicht absicherbar. Eine signifikant schlechtere Wirkung als die anderen Prüfglieder wiesen die Varianten Cuprozin progress und Cuprozin progress + Veriphos auf. Beide Varianten waren aber dennoch signifikant besser als die unbehandelte Kontrolle.
Abb. 3
Versuchsjahr 2018:
Bis ins Jahr 2018 wurde der Versuchsaufbau des Blüteversuchs zur Bekämpfung der Rebenperonospora ständig aufgrund der Erfahrung aus den Vorjahren optimiert. 2018 wurde die Behandlung mit den verschiedenen Varianten am 24. Mai 2018 durchgeführt. Die erste künstliche Infektion erfolgte am 5. Juni und die zweite am 6. Juni. Bonitiert wurden die elf Varianten am 2. Juli – Abbildung 3. Die unbehandelte Kontrolle, die zweimal infiziert wurde, wies eine Befallsstärke von 97 % auf. Die unbehandelten Kontrollen – erster und zweiter Infektionszeitpunkt mit nur je einer Infektion – waren mit einer Stärke von 88 % befallen.
Abb. 4
Die statistisch absicherbar beste Wirkung war bei der Variante Enervin zu beobachten. Delan Pro, Folpan 80 WDG und Folpan 80 WDG + Veriphos wiesen im Vergleich zu den extrem befallenen Kontrollreben eine überraschend gute Wirkung auf. Die Befallsstärken lagen zwischen 37,6 und 49,7 %. Die schwächste Wirkung zeigten die Prüfglieder Cuprozin progress und Cuprozin progress + Veriphos und Cuprozin progress + Veriphos + Netzschwefel. Der Zusatz von Netzschwefel und Veriphos verbesserte zwar den Effekt von Cuprozin progress solo, die Unterschiede aller Kupfervarianten waren aber gegenüber den Kontrollreben nicht signifikant verschieden.
Ergebnisse aus den Jahren 2014 bis 2018
Abb. 5
Die Ergebnisse von 2014 bis 2018 ergaben in allen Einzeljahren wertvolle Resultate. Die Erfolgsquote der künstlichen Infektionen bei den unbehandelten Kontrollen lag in den Versuchsjahren zwischen minimal 37 % (2017) und maximal 97 % (2018). Die Zusammenfassung der Einzelergebnisse der „Blüteversuche” von 2014 bis 2018 ermöglicht zusätzlich eine sehr aussagekräftige Interpretation der Daten – Abbildung 5.
Die Versuchsreben wurden in den fünf Jahren zweimal infiziert. Die mittlere Befallsstärke in der unbehandelten Kontrollparzelle betrug rund 75 %. Den geringsten Befall wies die Variante Enervin mit 5 % auf, gefolgt von Folpan 80 WDG + Veriphos und Folpan 80 WDG mit 17 % und 23 %. Der stärkste Befall war bei Cuprozin progress + Veriphos mit rund 54 % vorhanden.
Diskussion
Das vorgestellte Versuchsdesign mit dem Testsystem „Topfpfropfreben” ist geeignet, um die Wirksamkeit von verschiedenen Fungiziden gegen die Rebenperonospora an Gescheinen über die Rebblüte zu prüfen und zu beurteilen. Wichtig für die korrekte Interpretation der Daten ist das Wissen um die Sensitivität der eingesetzten Plasmopara viticola-Populationen gegenüber den geprüften Wirkstoffen. Die Ergebnisse der beschriebenen Versuche erbrachten neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit der „abgehenden Blüte-Behandlung”. Neu und überraschend ist, dass auch nach dem Abwurf der Blütenkäppchen noch positive Effekte der Fungizide vorhanden sind, das heißt, die Fungizide wirken über die Blüte hinweg. Bei Kontaktpräparaten wie Folpan 80 WDG war eine bis zu 50-%ige Wirkung bei Infektionen auch nach Blühende zu verzeichnen. Bei dem Präparat Enervin war ein Effekt bis zu 85 % feststellbar. Bei den Kupfervarianten mit Cuprozin progress war nur bei schwachen Infektionen eine gewisse Wirkung zu verzeichnen. Bei starken Infektionen waren jedoch so gut wie keine positiven Resultate zu beobachten.
Sogenannte „Abwascheffekte” haben keine Rolle gespielt, da die Versuchsreben unter dem Glasdach, also niederschlagsgeschützt kultiviert wurden. Der Zusatz von phosphonathaltigen Präparaten, wie Veriphos, konnte weder bei Cuprozin progress noch bei dem organischen Kontaktpräparat Folpan 80 WDG die Wirkung bei einer Behandlung nachhaltig verbessern. Diese Ergebnisse bestätigen mehrjährige Freilandversuche am WBI. Sie zeigten, dass der Zusatz von Veriphos – Kaliumphosphonat – sowohl bei den Kupferpräparaten als auch bei organischen Kontaktmitteln die Wirkung an den Blättern wesentlich stärker verbessert als an den Trauben. Viele eigene Versuche im Bereich des Ökoweinbaus ergaben zudem, dass die Kupferpräparate ohne Zusatz generell an den Blättern deutlich bessere Effekte haben als an den Gescheinen.
Warum ist überhaupt noch eine Wirkung nach einer einmaligen Applikation von Fungiziden auch nach dem Abwurf der Blütenkäppchen vorhanden? Eine mögliche Erklärung könnte in der Biologie der Rebenperonospora gefunden werden: Nach der Behandlung ist der Pflanzenschutzmittelbelag auf dem Stielgerüst und den Blütenstielchen der Gescheine gut erkennbar – Bild 4. Auch nach Abwurf der Blütenkäppchen ist dieser Belag noch vorhanden, bei manchen Wirkstoffen kann sogar eine Verlagerung in das wachsende Geschein erfolgen. Die Rebenperonospora kann nur in tropfbar flüssigem Wasser ihre Sporen entlassen und zu Infektionen führen. Kommen die Sporen nun mit dem am Stielgerüst oder am Blütenstielchen vorhandenen Wirkstoff im Wasserfilm in Kontakt, werden die Sporen abgetötet und können somit keine Infektion auslösen. Natürlich gibt es je nach Präparat unterschiedlich starke Effekte, was die Versuche eindeutig belegen.
Die Behandlungen gegen die Rebenperonspora und gegen Oidium erfolgen im Allgemeinen gemeinsam. Daher würden mehrjährige, detaillierte Versuche zur Rebblüte mit dem Echten Mehltau ein weiteres Wissensdefizit beheben und helfen, die aktuellen Strategien zu verbessern. Entsprechend der aktuellen Erkenntnis ist der Einsatz eines organischen Fungizids, wie beispielsweise Prosper oder Dynali, bei der letzten Behandlung vor Blüte gegen Oidium empfehlenswert, um die Wirkung des Peronospora-Präparates nachhaltig zu ergänzen.   
Sonderbeilage „Rebschutz 2020”
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