Fachliches | 31. Mai 2023

Doppelnutzung durch Photovoltaik

Von Frederik Klodt, Jona Pillatzke
Mit dem Klimawandel ist mit verstärkter Sonneneinstrahlung, aber auch mit Starkregen und schweren Sturmböen zu rechnen. Können PV-Anlagen über Rebflächen Weinstöcken genug Licht lassen und sie gleichzeitig vor Sonnenbrand und Hagel schützen, während sie Strom produzieren? Ein Projekt soll das klären.
Eine erste Pilotanlage für Photovoltaik im Weinbau wurde bereits fertiggestellt, sie befindet sich in Munzingen.
Klar ist, die Erlöse aus weinbaulich genutzten Flächen sinken, wohingegen die Produktions- und Pachtpreise steigen. Der Flächenmangel in Deutschland und anderen Ländern fordert eine effizientere Nutzung der Flächen. Im Zusammenhang der Energiewende bietet sich die Möglichkeit, weitere Einnahmen aus landwirtschaftlich genutzten Flächen zu generieren. Die wichtigsten erneuerbaren Energien sind Wind- und Solarenergie. Möglich ist auch eine Doppelnutzung der Agrarflächen für Landwirtschaft und Solarenergie, was als Agri-Photovoltaik bezeichnet wird. Deshalb hat sich die baden-württembergische Landesregierung dazu entschlossen, unter dem Dachbegriff Viti-PV ein Projekt zu fördern, um Photovoltaikanlagen in Kombination mit der Sonderkultur Wein zu etablieren.
Systembeschreibung
Die PV-Anlage in Munzingen ist mit fixierten, lichtdurchlässigen Sonnenpanelen ausgerüstet, die einen Transparenzgrad von 48 Prozent besitzen.
Eine erste Pilotanlage für Photovoltaik im Weinbau wurde bereits fertiggestellt. Diese befindet sich in Munzingen und hilft dem Staatlichen Weinbauinstitut (WBI) in Freiburg bei der Beurteilung der Effekte von PV-Anlagen auf die Physiologie der Weinrebe. Diese PV-Anlage von Vino-PV, errichtet durch die Gsun GmbH, ist mit fixierten, lichtdurchlässigen Sonnenpanelen ausgerüstet, welche einen Transparenzgrad von 48 % besitzen.
Eine weitere PV-Anlage wird in Ihringen am Blankenhornsberg von der Firma Intech gebaut und geht voraussichtlich im Juni ans Netz. Diese Anlage ist Teil des RegioWIN Projektes Weinbau 4.0, in welchem auch die Themen Automatisierung und Robotik zusammengeführt und durch die Wirtschaftsförderung des Landkreises Emmendingen koordiniert werden. Dort werden sowohl semitransparente Sonnenpanele als auch lichtundurchlässige Panele mit einem Trackingsystem verwendet. Letztere können der Sonne entweder folgen oder sich abwenden, so dass beim Abwenden mehr Sonnenlicht auf die Weinreben fällt. Das hat den Vorteil, dass bei Bedarf mehr Licht zum Wachstum und zur Traubenreife verfügbar ist. In beiden Systemen stehen in jeder dritten Reihe Pfosten, um die PV-Module aufzuständern. Diese Pfosten behindern Überzeilen-Arbeiten in ihrer Zeile, aber in den anderen Reihen ist eine volle maschinelle Bewirtschaftung durch die hoch aufgeständerten Module gewährleistet. Ein Stopp des Anbaus in den Reihen mit Pfosten ist daher denkbar, wenn keine passenden Lösungen für die Bewirtschaftung gefunden werden sollten.
Forschungsziele
Die Anlage am Blankenhornsberg beim Staatsweingut befindet sich im Aufbau.
Die kommenden Jahre wird das WBI in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und der Universität Freiburg Messdaten zur Sonneneinstrahlung, Temperatur und Bodenfeuchtigkeit in Viti-PV-Systemen sammeln. Die Rebenentwicklung, Bewirtschaftung und Gesundheit der Reben steht dabei im Vordergrund. Der Effekt auf die Traubenreife und Ernte spielt ebenso eine wichtige Rolle und wird durch regelmäßige Bonituren untersucht. Hinzu kommen die Erfahrungen der Winzer zur Ausführung von weinbaulichen Tätigkeiten unter Viti-PV.
Darüber hinaus wird die Schutzwirkung der PV-Anlagen gegen Hagel, Spätfrost und andere Umwelteinflüsse beurteilt. Durch die regelmäßigen Extremwettereignisse wird der Schutzbedarf der Kulturen immer größer. Die starke Sonneneinstrahlung, vor allem in den Steillagen, sorgt bei vielen Weinreben für Sonnenbrand und Hitzeschäden. Besonders betroffen ist die Rebsorte Riesling, die das Wechselspiel kühler Nächte und warmer Herbsttage benötigt, um besonders elegante Weine zu produzieren. Durch milde Nächte und zu viel Sonne am Ende der Reifeperiode steigt der Zuckergehalt der Trauben zu stark an und sorgt letztendlich für einen zu hohen Alkoholgehalt im Wein, während der Säuregehalt zu niedrig ist. Ein Schutz vor der Sonne durch moderate Beschattung der Reben könnte in diesem Fall ein Vorteil sein, da die Fruchtreife verzögert und die Wassernutzungseffizienz verbessert wird. Dies würde zur Erhaltung der Steillagen als Kulturlandschaft beitragen.
Auch in nicht hagelgefährdeten Lagen schützt Viti-PV vor Spätfrost und reduziert potenzielle Infektionen mit feuchtigkeitsliebenden Krankheitserregern wie Falschem Mehltau, weil die Laubwand trockener bleibt.
Regenwasser ableiten
Allerdings entstehen durch die Solarmodule Abtropfkanten, die das Risiko von Erosion verstärken. Dies könnte mit einer gut etablierten Begrünung vermieden werden. Um dies auch direkt nach dem Bau zu gewährleisten, soll zur Unterstützung noch ein Naturstoffvlies in den Boden eingearbeitet werden. Bei der Anlage in Munzingen wird das Regenwasser immer von zwei Reihen in eine Gasse geleitet, wodurch es sinnvoll sein könnte, diese Gassen nicht mehr als Fahrgassen zu benutzen, da sonst der Boden zu stark verdichtet werden könnte. Hier bietet es sich an, diese Gassen als Versickerungsgassen umzugestalten, mit dem Ziel, das gesamte Regenwasser aufnehmen und den Reben zur Verfügung stellen zu können. Noch besser wäre es, wenn das Regenwasser von den PV-Anlagen gesammelt und bei Trockenheit über ein Bewässerungssystem zurückgeführt wird. Solche Systeme sind insbesondere in semiaridem Klima interessant.
Wirtschaftlichkeit
Aus Sicht der Winzer ist auch die Einkommensdiversifizierung durch den Erlös für den Strom ein gutes Argument für die Viti-PV. Insbesondere, wenn ein großer Teil des Stroms für den Eigenverbrauch wie beispielsweise einen Elektro-Traktor genutzt werden kann, lohnt sich die Photovoltaik. Jedoch sind die Pilotanlagen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht rentabel, da der Bau der Unterkonstruktion aus Einzelanfertigungen besteht. Mit einer Serienfertigung der Anlagen würden die Produktionskosten sinken.
Soziale Akzeptanz Die soziale Akzeptanz ist ebenfalls ein entscheidender Punkt. Viele Menschen sehen eine Veränderung des Landschaftsbildes kritisch. Dieses befindet sich jedoch seit jeher im stetigen Wandel und wird sich durch die zunehmende Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien noch weiter verändern.
Der Energiebedarf der Bevölkerung wächst und soll immer mehr aus Wind- und Solarenergie gedeckt werden, da sich beide Systeme je nach Jahreszeit ergänzen. Die zukünftige Landschaft wird sich daher zwangsweise verändern und „Solarfelder” werden als neue Landschaftselemente entstehen.
Wie problematisch der zunehmende Verbrauch von landwirtschaftlichen Flächen beispielsweise für Infrastruktur, Siedlung und Industrie ist, haben der Beginn des Ukraine-Krieges und die anschließende Unsicherheit auf dem globalen Lebensmittelmarkt gezeigt. Aber Photovoltaik ist nicht zwangsläufig mit Flächenverlust verbunden. Deshalb erscheinen die Doppelnutzung und der Erhalt landwirtschaftlicher Flächen durch Agri-Photovoltaik sinnvoller als die Installation von Freiflächen-PV, bei der die landwirtschaftliche Fläche verloren geht. 
Biodiversität
Ein weiterer Pluspunkt von Viti-PV-Flächen ist die Möglichkeit, die Biodiversität  zu fördern. Dies wäre zum Beispiel auf den sogenannten „Eh-da-Flächen” möglich – Flächen, die vorhanden sind, aber landwirtschaftlich nicht genutzt werden können. So könnten Flächen, welche durch die Unterkonstruktion oder Anschlusstechnik blockiert sind, als Blühstreifen für Insekten, Hecken für Niederwild und Kleinsäuger oder als Nistplätze für Singvögel genutzt werden. Zusätzlich ermöglicht insbesondere die deutlich verbesserte Wassernutzung mehr Spielraum bei der Begrünung, so dass artenreiche Begrünungen auch an trockenen Standorten möglich werden.