Fachliches | 04. September 2024

Unerwünschter Eindringling

Von Dr. René Fuchs, Dr. Michael Breuer, Lars Askani - WBI
Erstmals wurden Exemplare der Amerikanischen Rebzikade in einem Weinbaugebiet in Deutschland nachgewiesen. Ermittelt wird der Befall an 18 Standorten per Gelbtafeln.
Das Reblaub zeigt die typischen Blattsymptome einer Vergilbungskrankheit, die auf den Befall von Schadorganismen zurückgeführt werden kann.
Sechs beziehungsweise neun Exemplare der Amerikanischen Rebzikade –  Scaphoideus titanus – wurden an Fallenstandorten in der Gemarkung Bad Bellingen zwischen Anfang und Mitte August mit Gelbtafeln gefangen und durch einen Mitarbeiter des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg (WBI) identifiziert. Zur Kontrolle des Fundes wurden die toten Zikaden an das Referenzlabor im Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) weitergeleitet. Dieses bestätigte die Art aus der Familie der Zwergzikaden.
Wie die Amerikanische Rebzikade nach Deutschland gelangt ist, ist bislang noch unklar. Es wird jedoch vermutet, dass das Tier über den Transitverkehr eingeschleppt wurde, da sich die Fallenstandorte in der Nähe der Autobahn und des Schienen-Güterverkehrs befinden. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Frankreich, Italien oder auch in der Schweiz, kommt die Art schon seit mehreren Jahren oder gar  Jahrzehnten vor und könnte von dort aus als blinder Passagier über den Warenverkehr nach Deutschland eingeschleppt worden sein.
Wie lange sich die Amerikanische Rebzikade schon in den betroffenen Weinbergen im Markgräflerland befindet, ist nicht bekannt. Im letzten Jahr wurden keine Tiere an den Fallenstandorten gefangen. Das WBI Freiburg führt bereits seit dem Jahr 2007 ein jährliches Monitoring zur Zikade durch. Seit 2015 laufen diese Untersuchungen auch im Rahmen des Nationalen Monitorings auf Schadorganismen in Zusammenarbeit mit dem Referat Biologische Diagnosen und Pflanzengesundheit am LTZ. Aufgrund von Funden der Zikade im Elsass im Jahr 2016 wurde das Monitoring weiter intensiviert.
Bislang ist nicht abschließend geklärt, wie groß die Population der Amerikanischen Rebzikade und damit das Befallsgebiet genau ist. Sollten keine weiteren Funde hinzukommen, beschränkt sich das aktuelle Befallsgebiet, einschließlich der direkt angrenzenden Rebflächen, auf zirka  51 ha (Stand 20. August). Mittlerweile konnten an insgesamt 18 Fallenstandorten über 250 Zikaden gefangen werden. Um das Gebiet eingrenzen zu können, wurden in umliegenden Rebflächen insgesamt 37 Gelbtafeln aufgehängt.  Die Auswertung dieser Standorte erfolgt wöchentlich.
Aktuelle Ergebnisse des Monitorings
Für das Monitoring werden Gelbtafeln verwendet. In solch einer wurde die Zikade im Bild unten gefangen.
Die Ergebnisse des Gelbtafel-Monitorings können aktuell in VitiMonitoring unter www.vitimeteo.de eingesehen werden. Dazu klickt man zunächst links auf der Startseite den Punkt „Monitoring” an. Anschließend wählt man unter dem Reiter „Klasse und Gruppe wählen” den Menüpunkt „Fallenfang / Schädling” sowie unter dem Reiter „Objekt wählen” den Menüpunkt „Amerik. Rebzikade Fallenfang” aus. Durch Anklicken der Fallenstandorte (grüne  Raute) mit dem Mauszeiger werden die Fangzahlen der Zikade je Standort angezeigt.
Die fünf bis sechs Millimeter kleine Amerikanische Rebzikade verbringt ihren gesamten Lebenszyklus an Reben, bevorzugt auf verwilderten Unterlagsreben, und ernährt sich dort vom Phloemsaft der Gefäße der Pflanze. Die Tiere überwintern in Form von Eiern auf dem Rebholz. Aus den Eiern schlüpfen im Mai/Juni die Larven, die sich hauptsächlich auf der Blattunterseite aufhalten und an den Pflanzen saugen. Ende Juli/Anfang August häuten sich die Zikaden und werden zu erwachsenen Tieren. In diesem Stadium können die Zikaden gut fliegen und sich theoretisch mehrere 100 Meter im Umkreis ausbreiten. Durch Weinbaumaschinen, insbesondere Laubschneider, oder durch Windverdriftung kann eine Verbreitung der Larven, bzw. erwachsenen Zikaden, auch über größere Entfernung erfolgen. Im Spätsommer kommt es dann zur Paarung der Zikade und anschließend zur Eiablage, wobei ein Weibchen 10 bis 15 Eier legen kann.
Erreger von Vergilbung
Die Amerikanische Rebzikade verursacht keine direkten Schäden an Weinreben, kann jedoch den Erreger der Goldgelben Vergilbung, auch Flavescence dorée (FD) genannt, von einer Rebe auf die nächste epidemieartig übertragen. Die Krankheit wird durch zellwandlose Bakterien, sogenannte Phytoplasmen (Grapevine flavescence dorée phytoplasma), verursacht, die als obligate Parasiten im pflanzlichen Phloem leben.
Zu den typischen Symptomen der Vergilbungskrankheit gehören das Verfärben, Absterben und Einrollen von Blättern. Während sich bei weißen Rebsorten die Blätter von den Blattadern über die Spreite hinaus gelb verfärben, kommt es bei den roten Sorten zunächst zur Rotfärbung einzelner, durch Blattadern scharf abgegrenzter Bereiche. Neben den Blättern zeigen auch die Triebe und Trauben der Rebe auffällige Symptome. Die befallenen Triebe verholzen im Sommer nur unvollständig und sterben durch Frost im Winter ab. Auch die Entwicklung der Traube ist gestört, was zur Verrieselung, einer Verzögerung der Reife und letztendlich zum Schrumpfen sowie Abfallen der Beeren führen kann. Die Beeren zeichnen sich außerdem durch einen bitteren Geschmack aus und sind damit für die Weinproduktion nicht geeignet.
Symptome variieren
Die beschriebenen Symptome werden frühestens nach der Blüte, meistens jedoch erst im Spätsommer oder gar im Herbst sichtbar. Der Grad der Schädigung variiert je nach Witte-rung und Rebsorte. Letztendlich führt die Vergilbungskrankheit zum vorzeitigen Absterben der gesamten Pflanze. Neben den klassischen Kulturreben können die Phytoplasmen auch in Unterlagsreben und anderen Pflanzen, wie Schwarzerle oder Waldrebe, vorkommen. Ein Befall mit dem Erreger kann bei diesen Pflanzenarten jedoch vollkommen symptomlos sein.
Aufgrund ihres enormen Schadpotenzials für den Weinbau wird die Flavescence dorée in der Europäischen Union als Unionsquarantänekrankheit eingestuft und ist meldepflichtig. Verwechselt werden kann die Krankheit leicht mit der sogenannten Schwarzholzkrankheit, die ebenfalls durch Phytoplasmen verursacht wird. Da beide Vergilbungskrankheiten in ihrer Erscheinungsform nahezu identisch sind, kann ein eindeutiger Nachweis der FD nur mithilfe von Laboranalysen erfolgen.
Bislang wurde weder in den von der Amerikanischen Rebzikade betroffenen Gebieten noch in anderen Weinbauregionen Baden-Württembergs die Flavescence dorée nachgewiesen. Derzeit laufen Untersuchungen am LTZ und am Julius-Kühn-Institut in Dossenheim, um sicherzustellen, dass die gefangenen Amerikanischen Rebzikaden keine FD-verursachenden Phytoplasmen in sich tragen. Die bisherigen Ergebnisse waren alle negativ. Um eine weitere Ausbreitung der Amerikanischen Rebzikade zu verhindern, sollen noch dieses Jahr Insektizidbehandlungen an den betroffenen Standorten durchgeführt werden. Eine entsprechende Notfallzulassung für Insektizide zur Behandlung der Zikaden wurde bereits vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eingereicht. Die Winzerinnen und Winzer, deren Rebflächen in den Befallsgebieten der Zikade liegen, wurden über den Newsletter des WBI und der staatlichen Weinbauberatung informiert sowie über geeignete Bekämpfungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt. 
Prävention
Verwilderte Rebflächen bieten der Zikade optimale Rückzugsmöglichkeiten.
Die Bekämpfung der Zikade ist zudem notwendig, um eine zukünftige Verbreitung der Krankheit präventiv zu verhindern, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass FD-verursachende Phytoplasmen bereits jetzt in anderen Wirtspflanzen wie Schwarzerle oder Waldrebe in dem Gebiet nicht unmittelbar sichtbar vorkommen. Da sich die Tiere gerne auf verwilderten Unterlagsreben an Böschungen oder Waldrändern aufhalten, müssen auch diese Lebensräume bei den Bekämpfungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Auch nicht mehr bewirtschaftete Rebflächen, sogenannte Drieschen, bieten optimale Rückzugsmöglichkeiten für die Amerikanische Rebzikade und sollten entweder wieder ordnungsgemäß bewirtschaftet oder konsequent gerodet werden.