Wein und mehr | 04. Mai 2017

Rosé aus der Südsee

Von Ingrid Hoffmann
Der Wein von Tahiti, erzeugt im Atoll Rangiroa des Tuamotu-Archipels von Französisch-Polynesien, ist dort geadelt wie die Perlen der Muscheln oder die Vanille. Die Produktionskosten sind allerdings extrem hoch.
Aufgrund der tropischen Lage ist auf dem Atoll zweimal im Jahr Weinlese – im Dezember und im Juni.
Dominique Auroy, junger Ingenieur beim technischen Dienstleister Cegelec, kommt im Dezember 1965 in Französisch-Polynesien an und reist nicht mehr ab. 1980 fängt er an, von einem lokalen Weinbau zu träumen.
Die hohen Preise der Importweine haben ihn beflügelt. Immerhin werden in der Inselgruppe der Südsee vier Millionen Flaschen pro Jahr getrunken. Es brauchte noch zehn Jahre hartnäckiger Versuchsarbeit auf allen Archipeln von Französisch-Polynesien, bis auf dem Atoll Rangiroa die ersten Trauben geerntet werden konnten.
Hier auf dieser Insel des Tuamotu-Archipels, 350 Kilometer nördlich von Tahiti, hat Auroy schließlich seine Rebflächen angelegt. Da es keinen Winter gibt, muss die Rebe stark geschnitten werden, damit es bei der Pflanze zu einem neuen Vegetationszyklus kommt. Unter der tropischen Hitze wächst sie täglich zehn Zentimeter.
So gut, dass die nächste Ernte bereits zwischen Mai und Juni ansteht – es gibt somit zwei Ernten im Jahr. Die ältesten Reben sind 18 Jahre alt, und nach mittlerweile 36 Ernten werden sie noch immer produktiver. 
Wurzelechte Reben
Auf Rangiroa wächst die Rebe auf einem sehr armen, kalkreichen Boden, zusammengesetzt aus „Korallensuppe”. Man muss ihn anreichern, indem man zu jeder Pflanze Kompost hinzugibt. Die Reblaus existiert in dieser Umgebung nicht.
Die Reben sind somit wurzelecht, was den Weinen mehr Aromen und mehr Fülle verleiht. Peronospora gibt es hier auch nicht. Dafür wird die Rebe von anderen Feinden bedroht.
2006 hat eine „Armee” von Tupas, das sind Kokospalmenkrabben, 500 Pflanzen vernichtet. Es kommt auch vor, dass Wildschweine dem Weingut einen Besuch abstatten. Nach jeder Invasion gilt es, Einfallsreichtum an den Tag zu legen, weil nur natürliche Bekämpfungsmethoden infrage kommen. 
Die Reben werden auch nicht von Unwettern verschont. 2009 und 2010 haben zwei tropische Tiefs die Reben während mehrerer Tage mit Brackwasser überflutet. Die Rebanlagen befinden sich nur einen Meter über dem Meeresspiegel, und die Lage auf halbem Weg zwischen dem Ozean und der Lagune lassen das Wasser steigen, sobald der Seegang zu stark ist. Glücklicherweise haben die ältesten Rebstöcke gut widerstanden.
Elfeinhalb Stunden Sonne täglich
Eine weitere Besonderheit: In den Tropen ist die Sonnenscheindauer konstant. Sie beträgt elfeinhalb Stunden pro Tag, während es in höheren Breiten im Sommer 16 Stunden sind. Aufgrund dessen enthalten die Trauben zum Zeitpunkt der Ernte weniger Zucker und Farbe. Es ist schwierig, richtige Rotweine zu erhalten.
Deshalb hat Dominique Auroy 2008 aufgehört, Rotwein zu erzeugen. Er setzt nur noch auf Rosé und Weißwein. In jenem Jahr schlug ihm Serge Dubs, weltbester Sommelier 1989, bei einem Zwischenaufenthalt in Polynesien vor, mit seinem Carignan „Blanc de noirs” zu erzeugen.
Heute leben rund 60 Personen vom Weinbau. Der Betrieb ist aber erst seit dem vorigen Jahr rentabel, die Produktionskosten sind extrem hoch. Alle Arbeiten werden von Hand erledigt.
Erntetransport mit kleinen Booten
Wenn es zum Ernten geht, verlassen 16 Erntehelfer in aller Frühe das Dorf Avatoru mit dem Boot, um zum Weingut am anderen Ende des Atolls zu gelangen. Dafür brauchen sie etwa 25 Minuten. Gegen 16 Uhr geht es mit der Ernte des Tages mit dem Boot wieder zurück.
Im kleinen Hafen angekommen, beladen die Helfer einen Lastwagen, der die Trauben zum einige Hundert Meter entfernten Keller bringt. Während der etwa vierwöchigen Lesezeit geht es mindestens 26-mal hin und zurück, um mehrere zehn Tonnen Trauben zu transportieren. Wenn die Weine fertig ausgebaut sind, werden sie erneut per Schiffstransport nach Tahiti gebracht, um dort abgefüllt zu werden.
30 Euro die Flasche
Die Weine des Gutes Ampélidacées auf dem Atoll Rangiroa sind wegen ihrer Originalität ein Muss auf guten Restauranttischen Tahitis.
Heute gehören die Reben wie selbstverständlich zur Landschaft des Atolls von Rangiroa, und man kann sich Tahiti kaum noch ohne seinen Wein vorstellen.
Das Weingut Amélidacées verfügt über sieben Hektar. Der Ertrag liegt bei 25 Hektoliter je Hektar. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot, was uns erlaubt, die Preise zu erhöhen und rentabel zu wirtschaften. Wir verkaufen unsere Weine um 30 Euro je Flasche an Endkunden”, erklärt Dominique Auroy.
Die Weine können sich international messen: So haben der trockene Weißwein von 2008 und der „Korallenwein” (vin de corail) von 2009 jeweils Silbermedaillen bei den Vinalies von Paris gewonnen. Wegen seiner Originalität ist der Wein von Tahiti auf allen guten Restauranttischen des Archipels eigentlich ein Muss geworden.
Pro Jahr werden 40000 Flaschen erzeugt. 90 Prozent werden vor Ort getrunken, nur einige Prozent erreichen das französische Mutterland. Wegen Zollschranken sind die USA bislang kein Markt, und für die Japaner ist er etwas teuer. Die Bewohner der kanadischen Provinz Quebec scheinen hingegen von der Qualität hingerissen zu sein.


 
Ein Muss in Insel-Restaurants
Der Betrieb strebt die Bio-Zertifizierung an. Und so, als hätte er Angst sich zu langweilen, ist Dominique gleich noch eine neue Herausforderung angegangen: den Anbau von Zuckerrohr wieder in Tahiti einzuführen.
Zwischen 1895 und 1906 gab es hier schon einmal eine Brennerei. Die Anbauversuche mit 13 Sorten Zuckerrohr laufen vielversprechend. Ein erster Bio-Rum aus Tahiti ist bereits entstanden. Man kann ihn schon bei guten Händlern der Insel finden.   
Schulstunden unter Kokospalmen
Seit Anfang des 21. Jahrhunderts baut die Gesellschaft Ampelidacées, die den Weinbau organisiert, auf Polynesier für die weitere Entwicklung. Am Technikkolleg von Rangiroa wurden Ausbildungsgänge für Weinbau eingeführt. Die Schüler werden mit den verschiedenen Arbeiten in den Reben vertraut gemacht. Einige Unterrichtseinheiten finden im Freien unter Kokospalmen statt.
Seit 2002 erhielten so 200 junge Leute eine Ausbildung, die es ihnen erlaubt, früher oder später von der Gesellschaft beschäftigt zu werden. Ohne Zweifel werden sich unter ihnen künftige Verantwortliche für den Weinbau finden.
Die anfängliche Skepsis der Einheimischen ist mittlerweile in Begeisterung umgeschlagen. So ist Jaqueline Tuaie die derzeitige Verantwortliche für den Weinbau, eine Polynesierin, die vor 15 Jahren in dem Betrieb anfing. Derzeit führt sie ein Team von acht Festangestellten.