Fachliches | 03. September 2020

Säuerung von Most und Wein erlaubt

Von Dr. Rainer Amann, Staatliches Weinbauinstitut Freiburg
Am 18. August hat das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) eine Ausnahmegenehmigung für die Zulassung der Säuerung von Most und Wein des Jahrgangs 2020 erteilt.
Bei der Verwendung von Weinsäure ist die Erhöhung der Gesamtsäure nicht genau vorhersagbar. Wird diese Substanz im Weinstadium verwendet, sollte vor der Füllung auf ausreichende Weinsteinstabilität geachtet werden.
Auch wenn dies inzwischen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist, muss diese Prozedur Jahr für Jahr durchlaufen werden. Die Weinbauverbände erhalten Anträge zum Beispiel vom Kellermeisterverein, beantragen die Säuerung beim MLR, das Weinbauinstitut und die LVWO Weinsberg erarbeiten eine gemeinsame Stellungnahme und dann folgt die Entscheidung des Ministeriums.
Seit 2011 ist das Verfahren in den Händen der Bundesländer. In neun von zehn Jahren gab es in Baden-Württemberg eine generelle und 2013 eine eingeschränkte Zulassung der Säuerung. Auch dieses Jahr lassen die klimatologischen Daten und inzwischen auch die Säuregehalte aus den Reifemessungen gar keine andere Wahl. Selbstverständlich wünschen sich alle am Verfahren Beteiligten eine generelle Zulassung der Säuerung, aber ob oder wann eine entsprechende Änderung des EU-Rechts kommt, ist nicht absehbar.
Eine zu starke Säuerung ist unerwünscht
Ein weiterer Wunsch der Kellermeister ist, die Aufteilung der Säuerung von Most und Wein freizugeben. Bisher darf man dem Most maximal 1,5 g/l (berechnet als Weinsäure) zugeben, dem Wein 2,5 g/l. Oft würde man gerne den Most stärker säuern, um ihn durch Senkung des pH-Wertes besser zu stabilisieren. Hier ist es politisch nicht sinnvoll, dass Deutschland die Initiative für eine rechtliche Änderung ergreift, weil diese Regelung dann auch in den heißesten EU-Weinbaugebieten gilt. Deshalb müssten zum Beispiel Griechenland, Spanien oder Italien eine Änderung beantragen.
Die eingeschränkte Säuerungsmöglichkeit im Most hat nicht nur Nachteile. Orientiert man sich alleine an den analytischen Werten, dann kann daraus ein Wein resultieren, der deutlich saurer schmeckt als ein Wein mit gleichem Säuregehalt in einem von Natur aus säurereicheren Jahr. Außerdem nimmt der Säuregehalt bei ungesäuerten, säurearmen Mosten oft während der Gärung zu.
Die Abnahme von Weinsäure durch Weinsteinausfall und von Äpfelsäure durch den Hefestoffwechsel während der Gärung ist in säurearmen Mosten geringer, weil die Gehalte im Most niedrig sind. Andere Säuren wie Bernsteinsäure und Essigsäure kommen aber wie bei säurereichen Mosten hinzu. Außerdem reduziert sich der sensorisch wichtige Kaliumgehalt umso stärker, je mehr Weinsäure man dem Most zugibt.
„Grüne” Äpfelsäure oder „milde” Milchsäure
Liest man sehr früh, sind die Trauben manchmal physiologisch nicht ausgereift. Bei Weißwein kann es zu einer Untypischen Alterungsnote (UTA) kommen, die man durch Zusatz von Ascorbinsäure zum Jungwein spätestens mit der Schwefelung minimieren kann.
Oft liest oder hört man, dass Äpfelsäure einen grünen, unreifen Geschmack hat. Das ist aber keinesfalls eine sensorische Eigenschaft der Säure. Bei Säuerung mit gleichen Mengen, berechnet als Weinsäure, ist der Unterschied zwischen Milch- und Äpfelsäure kaum oder gar nicht feststellbar. Die Assoziation kommt einfach daher, dass beispielsweise wegen Fäulnis vor der optimalen Reife geerntete Trauben oft hohe Äpfelsäuregehalte haben. Während der Reifung wird vor allem Äpfelsäure abgebaut und das Verhältnis Weinsäure zu Äpfelsäure wird immer größer. Dass die Weine grün und unreif schmecken, liegt aber an der fehlenden physiologischen Reife der Trauben. Deshalb gibt es dieses Problem auch in sehr warmen, säurearmen Jahren wie 2015, 2018 oder 2020. Liest man sehr früh, um den Alkoholgehalt im gewünschten Bereich zu halten, dann erhält hat man trotz niedrigem Säuregehalt oft Weine mit vegetativen Aromen, gerbigem Geschmack und geringer Haltbarkeit. Bei Weißwein kommt die Gefahr der Bildung einer Untypischen Alterungsnote (UTA) dazu, die man durch Zusatz von Ascorbinsäure zum Jungwein spätestens mit der Schwefelung minimieren kann.
Klimadaten und Reifeentwicklung 2020
Die Vegetationsperiode 2020 gehört zu den wärmsten und trockensten der Messreihe. Der Deutsche Wetterdienst berechnet ein Flächenmittel für Baden-Württemberg. Demnach war der Zeitraum April bis Juli 2020 nicht nur trockener als 2018, sondern der trockenste überhaupt. Bei der Höhe der Werte muss man berücksichtigen, dass im Flächenmittel auch die Mittelgebirge enthalten sind. Im Zeitraum April bis August war es das fünftwärmste Jahr seit 1901. Zwar kommt 2020 bei weitem nicht an das Temperaturmittel von 2018 heran, aber bei Mostgewichten und Säuregehalten ist der Unterschied gering.
Rechtliche Details bei einer Säuerung
  • Bei Trauben – auch gemaischt –, Most, gärendem Most und Jungwein darf die Säuerung bis zu einer Höchstmenge von 1,50 g je Liter, berechnet als Weinsäure, durchgeführt werden, bei Wein bis 2,50 g je Liter.
  • Die Säuerung, welche auch in mehreren Arbeitsgängen erfolgen kann, ist mit L-Weinsäure, L- oder DL-Äpfelsäure sowie mit Milchsäure zulässig. DL-Weinsäure oder Metaweinsäure sind hierfür nicht erlaubt. Die Weinsäure muss aus Weinbauerzeugnissen gewonnen worden sein. Möglich ist die Säuerung auch mittels Elektrodialyse oder Kationenaustauschern unter den dafür festgelegten Bedingungen. Davon abweichend dürfen Öko-/Bio-Erzeugnisse nur mit L-Weinsäure und Milchsäure gesäuert werden.
  • Zu beachten ist, dass Säuerung und Anreicherung sowie Säuerung und Entsäuerung „ein und desselben Erzeugnisses” einander ausschließen. Da jedoch Trauben, Most, gärender Most und Wein jeweils als verschiedene Erzeugnisse gelten, ist es beispielsweise möglich, die Säuerung im Most- oder Maische-Stadium vorzunehmen und die Anreicherung nach Gärbeginn. Wenn die Anreicherung bereits im Most- oder Maische-Stadium erfolgt, darf umgekehrt die Säuerung erst später erfolgen.
  • Die Säuerung darf nur in der Weinbauzone erfolgen, in der die Trauben geerntet worden sind. Die Säuerung von Wein darf überdies nur in dem Betrieb erfolgen, in dem die Weinbereitung stattgefunden hat. Sie muss in die Weinbuchführung und gegebenenfalls in das Begleitdokument eingetragen werden.
  • Betriebe, die Erzeugnisse des Jahrgangs 2020 säuern, müssen dies dem Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg spätestens am zweiten Tag nach Abschluss der ersten Maßnahme – möglichst aber vorab – pauschal melden. Ein entsprechender Vordruck „Meldung oenologischer Verfahren” lässt sich auf der WBI-Homepage herunterladen. Wenn die Säuerung 2020 bereits gemeldet worden ist, entfällt eine nochmalige Meldung.
Praktische Hinweise
Bei pH-Werten ab 3,5 sollte die Säuerung aus Gründen der mikrobiellen Stabilität bereits im Most- oder Maische-Stadium vorgenommen werden. Bei Zugabe der erlaubten 1,50 g/l – berechnet als Weinsäure – ist mit einer Senkung des pH-Wertes um 0,2 bis 0,3 Einheiten zu rechnen, wenn man Weinsäure verwendet. Milch- und Äpfelsäure führen zu einer geringeren pH-Absenkung. Erfahrungsgemäß erhöht die Zugabe von 1,5 g/l Weinsäure zum Most den Säuregehalt im Wein oft um 0,7 bis 0,8 g/l im Vergleich zum Wein ohne Säuerung.
Eine Säuerung im Wein sollte immer nach Vorversuchen erfolgen, um das sensorisch optimale Ergebnis zu erhalten. Die zulässige Säuerung um 1,5 oder 2,5 g/l – berechnet als Weinsäure – entspricht bei Verwendung von Weinsäure selbst ebenfalls 1,5 und 2,5 g/l. Wenn Äpfel- oder Milchsäure eingesetzt werden, ergeben sich die zulässigen Mengen aus der Tabelle.
Besonderheiten der einzelnen Säuren
  • Weinsäure ergibt die größte pH-Absenkung und bietet sich daher insbesondere für Most etc. an. Allerdings führt sie zu einem mehr oder weniger starken Weinsteinausfall, verbunden mit einer Abnahme der Gesamtsäure sowie des Kaliumgehalts und somit des Extraktwerts, der pH-Wert ändert sich dabei jedoch nicht. Bei Weinsäure ist die Erhöhung der Gesamtsäure deshalb nicht genau vorhersagbar. Wird sie im Weinstadium verwendet, sollte vor der Füllung auf ausreichende Weinsteinstabilität geachtet werden.
  • Äpfelsäure kommt im Wein von Natur aus nur als L-Äpfelsäure vor. Für die Säuerung hat man die Wahl zwischen reiner L-Äpfelsäure und DL-Äpfelsäure, die je zur Hälfte aus D- und L-Äpfelsäure besteht. Im Falle eines biologischen Säureabbaus wird die L-Form in üblicher Weise zu Milchsäure verstoffwechselt, die D-Form wird hingegen nicht abgebaut. Zu bedenken ist auch, dass nach Zugabe zu Wein eine erneute mikrobielle Instabilität gegeben sein kann.
  • Milchsäure ist kristallin nicht erhältlich, handelsüblich ist sie in Form einer gut dosierbaren 80-prozentigen Lösung. Sie führt nicht zu Weinsteinausfall und ist mikrobiell stabil, weshalb sie sich vor allem für die Säuerung von Wein anbietet. Bei Einsatz in einem früheren Stadium wird ein eventuell nachfolgender biologischer Säureabbau gehemmt. Zu beachten ist ferner, dass Milchsäure zu sieben bis acht Prozent gebunden vorliegt und die Freisetzung dieses Anteils bei Raumtemperatur einige Stunden dauern kann, bei Kellertemperatur bis zu einigen Tagen. Der gewünschte Säuerungseffekt – Gesamtsäure, pH-Wert – des Erzeugnisses stellt sich daher erst nach dieser Zeit in vollem Ausmaß ein.