Wein und mehr | 07. Februar 2019

Hochburg des „Stierbluts”

Von Mathilde Hulot
Im Nordosten Ungarns beherbergt das Vulkanmassiv von Bükk die kühle und abwechslungsreiche Weinregion Eger. Sie ist bekannt für ihren Verschnittwein Egri Bikavér oder „Stierblut”.
Vilmos Thummerer, eine der Stützen des Weinaufschwungs in Eger, hat sich nach und nach auf 95 Hektar Reben entwickelt. Hier steht er in seiner Lage Teknoshát.
Mit 75 Jahren blickt Vilmos Thummerer zufrieden auf die Arbeit zurück, die er innerhalb von 30 Jahren vollendet hat. Am Steuer seines Duster zeigt er seine Weinberge, die sich über 100 Hektar erstrecken. 95 Hektar sind im Ertrag und jedes Jahr pflanzt er fast drei Hektar neu. An diesem 25. Oktober ist die Weinlese beendet, bis auf wenige Trauben von Zénit, die für edelsüße Weine noch am Stock hängen.
Vilmos ist einer der Leuchttürme des Wiederauflebens von Eger, einer Weinregion, in der über 60 Rebsorten kultiviert werden und die die zweitgrößte Herkunftsregion des Landes in Größe und Bekanntheitsgrad ist, nach Tokaj. Vilmos hat 1984 angefangen, während er noch zusammen mit seiner Frau Blumenhändler war. Damals besaß er lediglich sieben Hektar. Sein Weingut, gelegen in Noszvai, 15 Kilometer von Eger entfernt, ist mithilfe von Banken groß geworden, jedoch stets familiär strukturiert geblieben.   
Hier bringt man den berühmten Wein „Stierblut” von Eger hervor, den Egri Bikavér (Egri: von Eger, Bika: Stier, Vér: Blut) – es ist ein roter Verschnittwein. Sein Name entstammt einer Legende von 1552: Um die osmanischen Truppen zu bekämpfen, sollen die ungarischen Kommandanten ihren Soldaten heimischen Wein in großen Mengen verabreicht haben.
Angesichts des unglaublichen Widerstands glaubten die Türken der Legende nach, dass der Wein mit Stierblut vermischt gewesen ist. Seit 2010 existiert sein weißes Pendant: der Stern von Eger, Egri Csillag (in Anlehnung an den ungarischen Romanklassiker „Die Sterne von Eger”). Es ist ebenfalls ein Verschnittwein.
66 Rebsorten
Nach dem Gesetz vom 1. August 2017 muss der Egri Bikavér (Stierblut von Eger) mindestens fünf Rebsorten enthalten. 50 Prozent müssen mindestens von einer lokalen Rebsorte stammen, Kékfrankos oder Kadarka zum Beispiel.
Die anderen zugelassenen Rebsorten sind Cabernet franc, Cabernet-Sauvignon, Kékoportó, Menoire, Merlot, Pinot noir, Syrah, Turan, Zweigelt, Bibor Kadarka und Blauburgunder. Es gibt von nun an drei Qualitätsstufen: Classic (höchstens 100 hl/ha), Superior (60 hl/ha) und Grand Superior (35 hl/ha).
Für diese vulkanische Region von etwa 4300 Hektar ist kennzeichnend, dass hier eine sehr große Zahl von Rebsorten angebaut wird: 66 genau. Die Winzer können sich aus dieser Liste bedienen, je nach Standortverhältnissen, Weinstil und Markt.
Vilmos rodet im Augenblick Oportó und Spätburgunder auf den Hängen seiner Lage Teknoshát, um sie mit Merlot zu bepflanzen, der sich hier wohlfühlt. Das bringt ihm 20 Hektar dieser Rebsorte, das sind dann ebensoviel wie Cabernet franc und Kékfrankos (Blaufränkisch oder Lemberger), der hier sehr begehrt ist. Vilmos hat rund 30 Weine im Angebot, um acht bis zehn Euro.
Es kommen viele Gruppen mit Reisebussen. Er verfügt selbst über zwölf Zimmer und eine große Küche, um seinen Gästen Mahlzeiten zu bereiten. 20 Prozent seiner Produktion gehen in den Export, zwischen zwei und 18 Euro/Flasche, ab Keller. 
Die ganze Familie im Boot
2006 hat er seinen in Tuffstein gegrabenen Keller erweitert. Er dachte erst daran, bei 50 Hektar aufzuhören. Jetzt bei 100 Hektar stößt er an eine Grenze: Personalmangel.
Einige seiner 35 Angestellten werden bald das Ruhestandsalter erreichen und die jungen sind ins Ausland abgewandert. Glücklicherweise kann er auf seine Familie zählen, um sich selbst zur Ruhe zu setzen. Sein Sohn Tamás ist verantwortlich für den Weinbau, seine Tochter Éva und ihr Mann kümmern sich um den Empfang von Gruppen und seine Enkelin, Annett, ist zur Weinlese nach Kalifornien gereist, schon mit der Idee im Kopf, sich später mal um die Weinlese im eigenen Gut zu kümmern.
Rückkehrer aus Amerika
Nimrod Kovács von Kovács Nimrod Wine (KNW) hat lange in den USA gelebt und dort Karriere gemacht, bevor er in seiner alten Heimat Winzer wurde.
Im Herzen der historischen Stadt Eger, in der Veroszala-Straße, wo sich alte Keller aneinanderreihen, erwartet uns eine andere Welt. Nimród Kovács ist ein Dissident, der Ungarn 1971 Richtung USA verlassen hat. Nachdem er es auf der anderen Seite des Atlantik im Medienbereich und im Marketing zu etwas gebracht hatte, haben ihn seine Wurzeln in die Heimat zurückgezogen.
1995 finanzierte er zwei Winzer, die einen Kellereibetrieb eröffneten. 2009 wurde er selbst Winzer. Sein Kellerbetrieb heißt nach ihm Kovács Nimród (KNW für Kovács Nimród Wine) und erstreckt sich unterirdisch.
In diesen „Gedärmen” von Tuffstein brauchen eine Presse von Defranceschi, kleine Tanks, französische, amerikanische und ungarische Fässer und im Lager liegende Flaschen jeden Winkel. Am Ende des Labyrinths vervollständigen ein Verkostungs- und Verkaufsraum das Ensemble.
Einfallsreiche Weinbezeichnungen
Der in Tuffstein gegrabene Keller von Vilmos. Im Hintergrund stehen im Gewölbe Edelstahltanks.
Mit 69 Jahren macht es Nimród Freude, einprägsame Bezeichnungen für sein Weinsortiment zu kreieren. Blues (100 Prozent Lemberger), Rhapsody, Battonage (ein Chardonnay), Soul (ein Syrah), Grand Bleu und eine Cuvée, seine Weinikone, die nach seinen Initialen NJK heißt. „Der Vorname Nimrod erinnerte zu sehr an die stupide Person im amerikanischen Zeichentrickfilm von Loony Tunes”, lacht er.
Deswegen, weil dieser vermögende Mann zehn Prozent seiner Weine in den USA verkauft. Von einem Verkaufsstützpunkt in Colorado aus, wo er einen Teil von sich gelassen hat. Er ist stolz darauf, dass seine Weine in 20 US-Bundesstaaten Absatz finden.
Um seine 30 Hektar zu organisieren und 120.000 Flaschen Wein pro Jahr zu produzieren, beschäftigt er einen ungarischen Kellermeister und einen „flying winemaker” aus den USA.
Sehr aufs Marketing ausgerichtet, bis hin zur Bezeichnung „Monopol” auf den Etiketten, setzt er bei den Rebsorten vor allem auf zwei autochthone, den Furmint bei den weißen und Kékfrankos (Lemberger) bei den roten, daneben auf die Kultlage Nagy Eged von Eger.
Weingut an den Thermen
György Lorincz hat seinen Keller 2002 gegründet und ihn St. Andréa genannt. Der Mereng (rotes Etikett) ist ein Stierblut Superior für 24 Euro.
Im benachbarten Dorf Egerszalók ziehen Thermen einheimische und ausländische Touristen an. Hier, an der Route eines Thermal-Hotels, hat György Lorincz 2002 seinen Keller gebaut. Er hat ihn St.Andrea genannt, nach dem Namen seiner Frau.
György war einige Jahre Önologe bei Egervin, dem Staatsbetrieb, und hatte nicht einen Forint (ungarische Währung) zum Investieren. 2002 finanzierte ihn jemand. Dieser starb jedoch drei Jahre später, was ihn zu anderen Lösungen zwang. Zwei Architekten haben sich auf sein Abenteuer gesetzt.
St. Andrea gehören nicht weniger als 45 Hektar an den schönsten Standorten von Eger, bepflanzt sind sie mit 21 Rebsorten. György muss seinen Keller vergrößern: Viel Arbeit ist im Gang. György Junior, 27, arbeitet mit ihm zusammen und sein anderer Sohn Balint, 24, verkauft die Weine im Kedves Bisztró, im „Tal der schönen Frauen”, einem touristischen Ort in Eger.
90 Prozent seiner Weine werden in Ungarn verkauft, via Bortársaság, einer Ladenkette, und auch über Tesco. Weine mit vielen farbigen Etiketten, zwischen acht und 26 Euro.
Keller im Tuffstein
In der ganzen Region vereinen kleine Dörfer eine Vielzahl Keller im Tuffstein. In Cserépfalu verwirklicht Mihály Roszkos seinen Traum. Mit 45 Jahren betreibt der Weinbauleiter bei Demeter Csaba, einem anderen Betrieb von Eger, zwei Hektar Weinbau für sich selbst. Bald sollen es drei sein.
Er verkauft einen Teil seiner Trauben und baut den anderen Teil im Keller aus, den er mit Hacke und Presslufthammer vergrößert. Er produziert Chardonnay und Spätburgunder und will zudem Kékfrankos und Merlot pflanzen. Seine Tochter, Studentin, hilft bei Lese und Weinausbau. Hier, auf einer Terrasse mit anregendem Blick auf die Landschaft, serviert er den Touristen seine Weine und verkauft seine Flaschen für drei Euro. Ein Moment des Glücks zu einem unschlagbaren Preis.