Fachliches | 10. Januar 2022

Virtuelle Weinproben – Eintagsfliegen oder dauerhaftes Erfolgsmodell?

Von Vanessa Hauert, LVWO Weinsberg, Referentin für Tourismus und Marketing
Die Corona-Pandemie hat Weinbaubetriebe dazu gezwungen, kreative Lösungen zu entwickeln, um mit den eigenen Produkten digital sichtbar zu sein. Onlineshops, Social-Media-Kanäle und Websites rücken dabei auch im Zusammenhang mit virtuellen Wein-Events immer stärker in den Fokus.
Es ist die wohl größte Herausforderung unserer Zeit: Die Digitalisierung branchenübergreifend zu gestalten und die sich daraus ergebenden Chancen gewinnbringend zu nutzen. Digitale Konzepte und Lösungen sind aufgrund der Pandemie-Situation quer durch alle Branchen mehr denn je in den Fokus gerückt. Event-Veranstalter haben ihre Konzepte in die digitale Welt übertragen und auch in der Weinbranche ist viel passiert. Geschlossene Gastronomie und Hotellerie, abgesagte Events und Verkaufsveranstaltungen wie Messen oder Weinfeste haben Weinbaubetriebe förmlich dazu gezwungen, kreative Lösungen zu entwickeln und zu präsentieren. Beim Blick zurück wird deutlich, wie gut das an vielen Stellen gelungen ist und dass sich die Branche in dieser Hinsicht absolut nicht verstecken muss.
Trend zur Digitalisierung hält an
Live-Tasting des Staatsweingutes Weinsberg mit Tamara Elbl, der Württembergischen Weinkönigin, und Hanns-Christoph Schiefer von der LVWO Weinsberg.
Innovative Konzepte, angefangen bei zahlreichen Live-Tastings unterschiedlichster Formate bis hin zu digitalen Weinfesten und Fachveranstaltungen in der Branche, haben die letzten anderthalb Jahre geprägt. Die Wichtigkeit, mit den eigenen Produkten digital sichtbar zu sein, wurde dabei unweigerlich verdeutlicht. Onlineshops, Social-Media-Kanäle und Websites rückten dabei auch im Zusammenhang mit virtuellen Wein-Events immer stärker in den Fokus. Nicht zuletzt die Fülle der Angebote, die auch im aktuellen Winter weiter anhält, zeigt den Erfolg der digitalen Konzepte in der Weinbranche.
Allein die vom Deutschen Weininstitut (DWI) auf der Homepage www.deutscheweine.de zusammengestellte lange Liste der Betriebe, die virtuelle Weinproben und Events in allen Anbaugebieten Deutschlands anbieten, zeigt die große Verbreitung und deutet auf Akzeptanz in der Branche hin. Im digitalen Veranstaltungskalender des DWI zeigt sich die Vielfalt an virtuellen Wein-Event-Konzepten. Fast täglich finden sich dort Einträge von virtuellen Veranstaltungsformaten, insbesondere an den Winterwochenenden ist die Auswahl groß. Hinzu kommt, dass sich die Auswahl an Events durch die Ungebundenheit des Ortes für den Kunden oder Gast vergrößert. Von Weinproben gepaart mit Kulinarik, Comedy oder Interaktion in der Gruppe ist für jeden Geschmack etwas zu finden.
Wein fördert den Austausch
Der Erfolg virtueller Weinproben lässt sich dabei recht leicht erklären, denn Wein ist nicht nur sozial, sondern funktioniert eben auch wunderbar digital. Das wird jeder, der im letzten Jahr an einem der zahlreichen digitalen Wein-Events teilgenommen hat oder selbst als Veranstalter aktiv war, bestätigen können. Soziale Events finden ihren Ursprung in der Tatsache, dass Menschen zusammenkommen und ein Austausch gefördert wird. Und wie könnte das besser gelingen als bei einem guten Glas Wein?
Das Angebot verbessern
Aufbau zur Digitalen Kundenweinpräsentation des Staatsweingutes Weinsberg zusammen mit der Digitalagentur Halbstark GmbH.
Was aber können Weinbaubetriebe aus den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre lernen und wie können diese Erfahrungen in der Zukunft genutzt werden, um die Angebotspalette von Betrieben in der Weinbranche auch nach der Pandemie langfristig und nachhaltig zu erweitern?
Allein die gute Weinqualität reicht oft nicht aus, um verwöhnte Kunden langfristig an Produkte zu binden. Verkäufer und Produzenten sehen sich immer mehr mit Kunden konfrontiert, die Teil der sogenannten „Erlebnisgesellschaft” sind. Charakteristisch dafür ist insbesondere das Bedürfnis nach authentischen und individuellen Erlebnissen. Auch bei virtuellen Weinproben und digitalen Wein-Events jeglicher Art ist genau dies der alles entscheidende Punkt für eine gelungene Veranstaltung und im zweiten Schritt für die erfolgreiche Vermarktung und damit Absatzsteigerung der eigenen Produkte. Dabei gibt es ein paar Grundpfeiler, die für eine erfolgreiche Online-Weinprobe beachtet werden sollten.  
Zunächst ist es wichtig, sich über die Art der virtuellen Verkostung Gedanken zu machen. Verschiedene Formate haben verschiedene Anforderungen, das hier beides zusammenpasst, ist nicht nur erfolgversprechend, sondern alles entscheidend.
Live oder aufgezeichnet?
Grundsätzlich ist als allererstes die Entscheidung zu treffen: Soll es eine Live-Veranstaltung oder eine Video-Weinprobe sein? Die beiden Arten unterscheiden sich insofern, als dass eine Live-Veranstaltung einmalig zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet und eine Video-Weinprobe sozusagen bei Bedarf zu jeder Zeit der Verkostung abgespielt werden kann.
Zweiter riesiger Unterschied ist zudem die Interaktion, die bei der Live-Veranstaltungen mit den Gästen via Chat oder im Dialog geführt werden kann und sollte, die bei einer Videoaufzeichnung so nicht möglich ist. Ein Vorteil der Video-Weinprobe sind ganz klar der vergleichsweise geringe Aufwand und die vielfältige Nutzbarkeit. Ein einmal gedrehtes Verkostungs-Video kann beliebig vielen Weinpaketen beigelegt und als „virtuelle Weinprobe” vermarktet werden. Die Gefahr ist hier allerdings, dass der „Event-Charakter”, den eine Live-Veranstaltung ausstrahlt, verlorengeht, ebenso wie das Gefühl der Exklusivität, was wiederum direkte Auswirkung auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden haben kann.
Zugkräftiger Name
Des Weiteren ist es für jede Veranstaltung wichtig, einen griffigen Titel zu finden, der neugierig macht und über die abgegriffenen Bezeichnungen „Online-Tasting” oder „Virtuelle Weinprobe” hinausgeht. Nur so kann es gelingen, im großen Angebot an virtuellen Veranstaltungen herauszustechen und potenzielle Kunden zu überzeugen. Bei der Wahl des Titels ist es dabei hilfreich, sich das eigene Alleinstellungsmerkmal, den sogenannten Unique Selling Point (USP), vor Augen zu führen:
  • Wofür steht mein Betrieb, wofür die einzelne Veranstaltung oder die Veranstaltungsreihe?
  • Was ist der Mehrwert, den mein Kunde beim Besuch der virtuellen Veranstaltung erfährt?
  • Welche Story möchte ich mit meiner Veranstaltung und meinen Produkten erzählen?
Ein praktisches Beispiel
Veranstaltungsflyer der Live-Tasting-Reihe WeinWissenWeinsberg
Exemplarisch ist dies im Folgenden einmal dargestellt am Beispiel einer Veranstaltungsreihe des Staatsweingutes Weinsberg:
Als Teil der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) Weinsberg ist die Nähe zu Lehre und Versuchswesen klares Alleinstellungsmerkmal des Staatsweinguts Weinsberg: Weinwissen direkt von den Experten.
Als Format wurde daher ein Expertengespräch mit jeweils wechselnden Fachleuten zu den verschiedenen Versuchs- und Lehrtätigkeiten der LVWO gewählt: Weinbau, Kellerwirtschaft, Aus- und Weiterbildung und Oenologie.
Im Gegensatz zu Fachvorträgen, wie sie an der LVWO Weinsberg üblich sind, sollte bei dieser virtuellen Veranstaltungsreihe die lockere Atmosphäre und das weniger wissenschaftliche, also das auch für Laien verständliche Weingespräch im Vordergrund stehen.
Kurze und kompakte Wissensvermittlung war ebenfalls Teil des Konzepts, um die Zuschauer nicht zu überfordern, daher wurden die Online-Weinproben als einstündiges After-Work-Event geplant.
Um nicht im großen Angebot an Wochenenden unterzugehen, wurde letztendlich der Donnerstag als geeigneter Veranstaltungstag für eine After-Work-Veranstaltung gewählt.
Aus den oben genannten Elementen entstand für die virtuelle Veranstaltungsreihe letztendlich der Titel: WeinWissenWeinsberg – Weingespräch am Donnerstag. Passend zum virtuellen Format wurde dabei das Wortspiel WWW genutzt und durch die Schreibweise herausgestellt.
Moderiert wurde das digitale Weingespräch am Donnerstag von der Württembergischen Weinkönigin Tamara Elbl. Damit wären wir bei einem weiteren Punkt, der bei vielen virtuellen Weinproben und Wein-Events zu beobachten ist: Das Setting und die Moderation sind mindestens so wichtig wie die Weine, die verkostet werden. Es muss dabei nicht immer „nur” der Winzer selbst sein, der seine Produkte vorstellt. Bekannte Gäste und geübte Entertainer können die Strahlkraft der Veranstaltung erweitern – die meisten Zuschauer wollen in erster Linie etwas erleben und unterhalten werden.
Griff in den digitalen Werkzeugkasten
Hat man sich nun als Veranstalter für eine virtuelle Weinprobe entschieden, ein Konzept entworfen und einen griffigen Titel gefunden, kommt direkt die nächste Frage auf: Welches digitale Werkzeug (Tool) wird für das virtuelle Event genutzt? Zwischen Livestream via YouTube, Livestream in den Sozialen Medien – Facebook oder Instagram – oder Konferenztools wie Tams, Zoom oder Webex gibt es mitunter große Unterschiede.
Geschlossene virtuelle Konferenzräumen bieten dem Veranstalter eine größere Kontrolle über die Teilnehmer und die Möglichkeiten der Interaktion innerhalb der Gruppe sind gegeben. Diese Tools eignen sich daher insbesondere für Events mit Gruppen, die untereinander agieren und sich eventuell auch sehen wollen, wie beispielsweise bei Weihnachtsfeiern, Team-Events oder Geburtstagen. Für die Nutzung eines solchen Konferenztools müssen in den allermeisten Fällen Kosten von fünf bis zehn Euro pro Monat einkalkuliert werden, da bei kostenlosen Basisversionen die Dauer des Meetings für mehrere Teilnehmer meist zeitlich begrenzt ist.
Ein Live-Stream via YouTube oder andere Kanäle bietet hingegen die Möglichkeit, eine Veranstaltung auf einfache Weise einer breiten Masse zugänglich zu machen, und ist grundsätzlich erstmal kostenlos. Um einen YouTube-Livestream zu erstellen, muss man sich lediglich ein Benutzerkonto anlegen und eine geeignete Streaming-Software herunterladen, auch hier gibt es kostenfreie Open-Source-Angebote, wie beispielsweise OBS Studio.
Professionelle Technik und Regie enorm wichtig
Für alle Varianten gilt jedoch gleichermaßen: Qualität und reibungsloser Ablauf haben absolute Priorität. Setting, Moderation, Kameraeinstellung, Bild- und Tonqualität bei Video-Einspielungen sind enorm wichtig und werden mit steigender Erfahrung der Zuschauer immer wichtiger. Folgende Aspekte sind für die reibungslose Durchführung zu beachten. Benötigt werden:
  • Eine hochauflösende Kamera, um das Live-Event zu streamen. Wichtige Hilfsmittel können hier auch ein Stativ oder ein Tragegurt für die Kamera sein, um ein wackelndes Bild zu vermeiden.
  • Eine stabile Internetverbindung ist das A und O einer jeden virtuellen Live-Veranstaltung, denn nichts ist ärgerlicher, als wenn das Bild abbricht, der Ton verzerrt ist oder die aufwendig produzierten Video-Einspieler hängen bleiben.
  • Eine professionelle Beleuchtung, um den Ort, an dem das Tasting stattfindet, optimal in Szene zu setzen und den Zuschauern ein tolles Setting zu vermitteln. Insbesondere wenn das Live-Tasting an Orten stattfindet, die nicht so gut beleuchtet sind, zum Beispiel in einem Holzfasskeller oder ähnlichem, oder virtuelle Rundgänge durch den Betrieb Teil der Veranstaltung sind, muss auf eine zusätzliche Beleuchtung geachtet werden.
  • Ein geeigneter Hintergrund. Das Setting muss passen, damit das live übertragene Bild die gewünschte Story und Atmosphäre vermittelt und sowohl Moderatoren als auch Produkte optimal in Szene gesetzt werden können.
  • Mikrofone für den Moderator und alle Sprecher sind außerdem unverzichtbar, denn nichts ist nerviger als eine schlechte Audio-Qualität.
Für größere Veranstaltungen kann es durchaus auch empfehlenswert sein, sich Hilfe von Experten zu holen. In den letzten anderthalb Jahren haben sich zahlreiche Agenturen auf die Begleitung von digitalen Events wie Online-Weinproben spezialisiert.
Die Beteiligten unterstützen und einweisen
Neben der technischen Vorbereitung des Veranstalters zählen zur optimalen Vorbereitung allerdings auch das detaillierte Briefing und die technische Vorbereitung der teilnehmenden Kunden. Denn diese sind ja, anders als beim Offline-Format nicht vor Ort und müssen sich um die notwendige Infrastruktur selbst kümmern.
Es gilt also dafür zu sorgen, dass die Teilnehmer an ihrem Ort der Veranstaltung bestens vorbereitet sind und die optimalen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Online-Weinprobe gegeben sind. Hierzu zählt auch eine selbsterklärende Anleitung für die Gäste, die folgende Punkte unbedingt beinhalten sollte:
  • Technische Anleitung zur Nutzung des gewählten Tools: Herunterladen einer App, Klicken auf einen Link, Verwendung von Kamera, Mikrofon und Chat.
  • Vorbereitung und Information zu den Produkten: Vorbereitung der Weine, zum Beispiel Trinktemperatur, Reihenfolge der Verkostung, eventuell Expertisen oder kurze Information zu den Weinen.
  • Aufbau des Settings: Tipps für Anzahl und Art der Gläser, eventuell Information und Zubereitung zu Snacks, Wasser und Bereitstellung sonstiger Requisiten.
  • Möglichkeit für Support anbieten: einen Kontakt zum Veranstalter, bei dem während der Veranstaltung Hilfestellung zur Technik angefragt werden kann.
Den Absatz ankurbeln
Zu guter Letzt noch der wichtigste Grundsatz: Nach dem Event ist vor dem Event!
Mindestens genauso wichtig wie die Vorbereitung ist nach der Verkostung die After-Sales-Phase, die schnell wieder zur Pre-Sales-Phase wird: Denn welches Ziel verfolgt eine virtuelle Weinprobe? Es wurden bereits im Vorhinein Weinpakete für die Veranstaltung verkauft, im besten Fall hat man den teilnehmenden Gästen einen schönen Abend beschert und im allerbesten Fall sogar einen kleinen Kostenausgleich für die entstandenen Aufwendungen der Vorbereitungen in den Preis der Pakete mit einkalkuliert.
In den allermeisten Fällen reicht das aber nicht aus, um einen direkten Nutzen für den eigenen Betrieb ausmachen zu können. Bekanntermaßen soll eine Weinprobe, und so auch das Live-Tasting, Lust auf die Weine machen und zum weiteren Kauf animieren. Da die Gäste bei einer virtuellen Weinprobe nun aber nicht direkt in den Verkaufsraum begleitet werden können, ist es wichtig, noch während der digitalen Veranstaltung Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die verkosteten Weine erworben werden können.
Die Information zur Bestellmöglichkeit der Weine ist elementarer Bestandteil des virtuellen Events. Der Verweis auf den Onlineshop, die Einblendung der Kontaktdaten oder die direkte Bestellungsaufnahme im Chat sind daher wichtige Bestandteile einer virtuellen Weinprobe.