Fachliches | 03. November 2022

Wein ist sozial – Wein kann digital

Von Vanessa Hauert, LVWO Weinsberg
Wer heute neue Interessenten und Käufer gewinnen will, der sollte unbedingt auch online auf sich aufmerksam machen. Denn schließlich wollen wir unsere Kunden dort erreichen, wo sie sich aufhalten, und dabei spielen digitale Formate und Social-Media-Kanäle eine immer größere Rolle.
The Wineteachers - am Beispiel Riesling
Laut einer ARD/ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2021 nutzen in Deutschland fast 67 Millionen Menschen das Internet. Schaut man sich die unterschiedlichen Altersgruppen noch näher an, wird es noch plakativer: 2021 waren alle Menschen unter 50 Jahren online. Dabei spielt vor allem die mediale Internetnutzung eine immer größere Rolle. Auch Ältere sind dabei, 95 Prozent der 50- bis 69-Jährigen und 77 Pozent der ab 70-Jährigen geben an, das Internet grundsätzlich zu nutzen.
Bei der Frage, welche Medienangebote während der Corona-Pandemie wichtiger geworden sind, gewinnen vor allem Online-Videoangebote, Online-Artikel und Messenger an Bedeutung. Diese werden durchschnittlich mehr als zwei Stunden pro Tag genutzt.
Dieser Trend gilt auch für Social-Media-Kanäle. Diese nutzten 85 Prozent der 14- bis 29-Jährigen 2021 mindestens einmal wöchentlich, 70 Prozent dieser Altersgruppe sogar täglich. Bei den 30- bis 49-Jährigen waren es 62 Prozent und bei den 50- bis 69-Jährigen immer noch 30 Prozent, die angaben, mindestens einmal wöchentlich in Sozialen Netzwerken unterwegs zu sein.
Facebook und Instagram sind am Wichtigsten
Dabei spielen das Liken, Teilen, Posten, die Timeline oder den Feed anschauen mit 52 Prozent der Nutzung die größte Rolle, dicht gefolgt vom Lesen verschiedener Artikel auf Facebook, Instagram oder anderen. 25 Prozent der 14- bis 29-Jährigen schauen sich zudem täglich Videos oder Livestreams an.
Neben den Wichtigsten – Facebook, Instagram und dem Messengerdienst WhatsApp – spielen auch Videoportale wie beispielsweis YouTube eine bedeutende Rolle. Deutlich weniger frequentiert und daher im Weinmarketing vernachlässigbar sind Portale wie Snapchat oder Tiktok ebenso wie der Kurznachrichtendienst Twitter, der insbesondere zur Kommunikation von Nachrichten und politischen Themen genutzt wird.
26 Prozent aller Internetnutzerinnen und Internetnutzer sind laut der ARD/ZDF-Onlinestudie mindestens einmal wöchentlich bei Facebook. In der jüngeren Altersgruppe bis 29 Jahre ist Instagram die wichtigste Plattform, drei Viertel der Befragten sind dort mindestens einmal wöchentlich unterwegs.
Bedeutung für das Weinmarketing
Es lässt sich also leicht argumentieren, warum die Präsenz in Online-Medien bei der Bewerbung von Produkten jeglicher Art kaum noch wegzudenken ist: Man erreicht eine große Anzahl an potenziellen Kunden, oder wie man Neudeutsch sagen könnte: Hier finden wir unsere community.
Insbesondere im Weinmarkt stehen bei Kunden neben dem reinen Produkt auch der Moment des Konsums und die damit verbundenen Emotionen im Vordergrund. Anders als beispielsweise bei Mineralwasser, das ein Grundbedürfnis befriedigt, nämlich den Durst löschen soll, geht die Motivation beim Kauf einer Flasche Wein meist weit über die Befriedigung von Grundbedürfnissen hinaus. Hierbei spielen Überlegungen eine große Rolle, die mit dem Kaufanlass verknüpft sind.
Beispielsweise: Welchen Wein kaufe ich für einen besonderen (emotionalen) Moment? Von der eigenen Hochzeit über die Firmenfeier, den Mädelsabend oder das Weihnachtsessen sind es doch immer Emotionen, die mit dem jeweiligen Anlass verknüpft sind und indirekt die Kaufentscheidung beeinflussen. Und nun kommt die alles entscheidende Frage: Wie schaffen es Weinproduzenten, diese Brücke zwischen Emotion und Produkt zu schlagen, um ihre Kunden langfristig zu gewinnen?
Mit Geschichten Emotionen wecken und ansprechen
Beispiel Lemberger
Eine Lösung hierfür lautet: Storytelling, also „Eine Geschichte erzählen”. Storytelling ist mehr als Werbung. Es übermittelt Werte, ruft Emotionen hervor, macht neugierig und bindet den Kunden im besten Fall mit ein. Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken besteht dabei aus informativen oder pädagogischen Inhalten mit einem hohen Unterhaltungswert für den Kunden. Statt großer Werbetexte konzentriert sich das Content-Marketing auf das Storytelling.
Das Hauptziel ist es, bestimmte Interessen des Zielpublikums zu befriedigen und Produkte nicht direkt anzupreisen, sondern sie in einer Geschichte zu transportieren. Dabei lebt die Kommunikation mehr von Bildern, Farben und Videosequenzen als von langen Texten. Ironie, Witz und Emotion spielen dabei eine übergeordnete Rolle im Vergleich zu harten Fakten. Der Blick hinter die Kulissen eines Betriebes, die Authentizität der Personen, die hinter dem Produkt stehen, und Möglichkeit zur Interaktion prägen die Kommunikation.
Produkt tritt in den Hintergrund
„Wir kaufen nicht, was wir haben wollen, wir konsumieren, was wir sein möchten” – mit dieser Aussage trifft John Hegarty den Nagel auf den Kopf. Wer seinen Wein erfolgreich verkaufen möchte, muss nicht nur Käufer finden, sondern diese langfristig von seinem Produkt überzeugen und bestenfalls auch dafür begeistern.
In gesättigten Märkten treten Themen wie Kundenbindung, Alleinstellungsmerkmal und Sichtbarkeit immer mehr in den Vordergrund, um dem ständigen Preisdruck zu entgehen. Allein die gute Qualität reicht vielmals nicht aus, um verwöhnte Kunden langfristig an Produkte zu binden. Verkäufer und Produzenten sehen sich immer mehr mit Kunden konfrontiert, die Teil der sogenannten „Erlebnisgesellschaft” sind.
Charakteristisch für diese Gesellschaft ist insbesondere das Bedürfnis nach authentischen und individuellen Erlebnissen, das Produkt tritt dabei vergleichsweise in den Hintergrund.
Was ist eine gute Geschichte?
Um nun zu wissen, welche Story man erzählen will, sollte man sich als allererstes im Klaren darüber sein, wofür das eigene Produkt oder der Betrieb steht. Welche verwandten Themen sind mit dem Produkt verknüpft, was macht den Wein besonders? Essenziell ist außerdem das Wissen über die Zielgruppe, um eine passgenaue Story entwickeln zu können. Wer soll angesprochen werden?
Dabei spielen soziodemographische Daten eine eher untergeordnete Rolle, vielmehr ist es zunehmend wichtig, einen bestimmten Lifestyle zu bedienen, zu dem sich die jeweilige Zielgruppe zugehörig fühlt. Wichtige Fragen stellen sich außerdem bei der Erreichbarkeit der potenziellen Kunden. Wo finde ich meine Zielgruppe? Wie erreiche ich meine Zielgruppe? Wo kann ich die Story platzieren?
Jede Geschichte braucht außerdem authentische Protagonisten („Hauptdarsteller”) und einen Handlungsort. Es ist daher hilfreich, sich bereits am Anfang mit den folgenden Fragen auseinanderzusetzen: Wer soll die Geschichte tatsächlich erzählen? Wo spielt die Geschichte? Welche „Bühne” unterstreicht die gewünschte Aussage am besten?
Storytelling ist damit ein Stilmittel, das nicht nur Kunden akquirieren, sondern vielmehr „Fans und Follower” generieren soll, deren Begeisterung für ein bestimmtes Produkt über die dazugehörige Story geweckt wird und letztendlich zu einer emotionalen Kaufentscheidung führt. 
Beispiel „The Wineteachers”
Beispiel Rosé
Am Beispiel der Handelslinie „The Wineteachers”, die von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg in Zusammenarbeit mit der Agentur wineworlds entwickelt worden ist, sollen die oben genannten Aussagen veranschaulicht werden. Die Weinbauschule in Weinsberg will Wissen erforschen, Wissen vermitteln und Wissen weitergeben – seit 1868.
Abgeleitet von dieser Vision liegt es nahe, dass sich das Thema „Weinwissen” in der Story für die neue Handelslinie wiederfindet. Die Zielgruppe besteht insbesondere aus Menschen, die gerne etwas über Wein lernen möchten – Studenten, Ehemalige und Weininteressierte. Winzer und Weinbauern vertrauen seit Jahrzenten auf die Experten aus Weinsberg. Wer könnte also besser als Protagonist in Frage kommen als die Lehrer der Weinbauschule selbst?
Nun galt es, den „Teachers” ein Gesicht zu geben, das Aufmerksamkeit im Weinregal erzeugt. Hier ist  die Wahl auf karikative Zeichnungen in Form von Tiersymbolen gefallen. Die Assoziationen die jeweiligen Tiere wurden dabei genutzt und mit dem Charakter der Weine in Verbindung gebracht: Der „Dachs im Frack” mutig und kühn als reifer und erfahrener Professor; elegant, klassisch und gleichzeitig traditionell – wie der Riesling. Oder der Bär als Symbol für Kraft – für den kräftigen, dunkelroten „Doktor Lemberger” mit würzigen und pfeffrigen Aromen.
Die Geschichte weiterentwickeln
Als Szenerie und zur Weiterentwicklung der Geschichte eignet sich die Weinbauschule als bekannter Ort des Weinwissens außerdem für die Kommunikation der Geschichte. Der Ort als solcher bietet die Möglichkeit für weitere Anknüpfungspunkte. Führungen durch die Welt des Weinwissens könnten entwickelt werden, bei denen aus der Perspektive der „Wineteachers” viel über die Herstellung von Wein gelernt werden kann.
Ebenso sind fachliche Weinproben denkbar, bei denen die Wineteachers als symbolische Erzähler über ihren eigenen Flascheninhalt berichten. Auf Basis der Tiersymbole können zudem Werbemittel und einzelne kleine Substories zu bestimmten Themen oder Anlässen entwickelt werden: Zum Beispiel wäre „Miss Bachelorette rosé” wie gemacht für einen Junggesellinnenabschied.