Fachliches | 03. November 2022

Wein nachhaltig produzieren

Von Max Gaß, WBI
Viel Sonne, Hitze und kaum Regen. Ein Rekordsommer mehr liegt hinter uns, mit weiteren ist zu rechnen. Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Die Antwort der EU lautet Farm-to-Fork-Strategie. Für die Winzerinnen und Winzer birgt sie Chancen und Risiken.
Wie Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen und umweltfreundlichen Kontinent werden kann, wird im European Green Deal dargelegt. Kernstück ist die Farm-to-Fork-Strategie. Demnach soll bis 2024 unter anderem ein Rahmen für eine Kennzeichnung von Lebensmitteln erarbeitet werden, die die Verbraucher in die Lage versetzen soll, sich für nachhaltige Produkte zu entscheiden.
Das wird auch die Weinbranche betreffen. Genauso wie der im Juni von der EU-Kommission veröffentlichte Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln – im Entwurf ein Berufsverbot für viele Winzerinnen und Winzer.
Was heißt nachhaltig?
Nachhaltigkeit im Weinbau hat viele Facetten. Diese Schafe ersetzen zum Beispiel das Mulchen zwischen den Zeilen.
Dem Begriff Nachhaltigkeit begegnet man heute im Alltag in vielen Bereichen und oft stellt sich die berechtigte Frage: Was heißt hier eigentlich nachhaltig? Tatsächlich ist die Begriffsbestimmung im EU-Recht sehr allgemein gehalten. Grundsätzlich bedeutet Nachhaltigkeit, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei gilt es, die drei Säulen der Nachhaltigkeit gleichermaßen zu berücksichtigen: wirtschaftliche Effizienz, soziale Gerechtigkeit und ökologische Tragfähigkeit.
Der European Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie zielen darauf ab, die EU-Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft umzugestalten. Dazu wurden Maßnahmen formuliert, die tiefgreifende Veränderungen bewirken sollen. Der Entwurf der Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und die zu erwartende Nachhaltigkeitskennzeichnung von Wein sind ernstzunehmende Beispiele dafür, dass mit der Umsetzung bereits begonnen wird.
Um Innovationen im Agrarsektor zu fördern, gibt es die Europäische Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-agri). Hier arbeiten das Staatliche Weinbauinstitut  Freiburg (WBI), die staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO), der Weincampus Neustadt, der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband (BWGV) und 27 weitere Interessenvertreter der baden-württembergischen Weinbranche an einem durch EIP-agri geförderten Projekt zusammen.
Ziel ist die Entwicklung eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzepts für den Weinbau in Baden-Württemberg in den Bereichen Weinbau, Önologie sowie Vermarktung  mit besonderer Berücksichtigung von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwis). 
Erste Umfrage durchgeführt
Das WBI Freiburg ist dabei für den Weinbau zuständig und setzt Schwerpunkte auf die Rebenzüchtung und den Anbau. Seitens der Önologie werden von der LVWO Weinsberg nachhaltige Ausbauverfahren und die kellerwirtschaftliche Handhabung von Piwis bearbeitet. Der Weincampus Neustadt verantwortet die Vermarktung nachhaltiger Weine.
Um Informationen schnell und kontinuierlich verbreiten zu können, wird eine Webseite eingerichtet. Ein digitales Beratungstool soll die Branche zusätzlich dabei unterstützen, den kommenden Anforderungen gerecht zu werden.
Um eine für die Praxis übersichtliche Hilfestellung anbieten zu können, wird derzeit am WBI Freiburg daran gearbeitet, die vielen Entwicklungen aus dem Themenfeld Nachhaltigkeit zu bündeln. Dazu finden Treffen und Gespräche mit Berufsverbänden, Vertretern von Beratungsorganisationen, Unternehmen, Praktikern und wissenschaftlichen Einrichtungen statt. Außerdem sind als Reaktion auf den Klimawandel mehrere Konferenzen geplant, in denen es unter anderem darum gehen wird, Lösungen für eine angepasste Wasserführung im Weinbau zu finden.
An der LVWO Weinsberg werden Projektweine aus widerstandsfähigen Neuzüchtungen und vergleichbaren konventionellen Rebsorten produziert. Daneben wird mittels Mikrovinifikation unter standardisierten Bedingungen die Extrahierbarkeit von Phenolen bestimmt und deren Verteilung in der Beere charakterisiert.
Am 101. Landwirtschaftlichen Hauptfest (LWH) 2022 in Stuttgart hat das Forschungsteam vom Weincampus Neustadt eine viertägige Besucherbefragung durchgeführt. Ziel war es zu prüfen, ob die Kommunikation nachhaltiger Kriterien wie die Sortenwahl, soziales Engagement und Biodiversität einen Einfluss auf die
Kaufentscheidung und die wahrgenommene Wertigkeit von Weinen nimmt. Neben der Auswertung der genannten Marktforschung wird nun der langfristig angelegte Forschungsplan, ausgehend von Umfragen und intensiven Gesprächen mit den beteiligten Praxispartnern, um individuelle Projekte ergänzt.