Fachliches | 04. August 2020

Messbarer Erfolg beim Weintourismuskonzept Franken

Von Dr. Hermann Kolesch
Eine massive Qualitäts- und Imagekrise der Fränkischen Weinregion Mitte der Achtzigerjahre – vor der Lese des Jahrgangs 2000 lagen zwei Weinernten nahezu unverkäuflich in den Kellern – wurde Ausgangspunkt des Weintourismuskonzeptes „Franken – Wein.Schöner.Land”.
Pionierarbeit: Weinerlebnisführungen gehören in Franken schon seit vielen Jahren zum Repertoire, um Ausflüglern und Urlaubern informative Kurzweil zu bieten.
Krisen sind, wie wir derzeit wieder erleben, immer auch Ansporn für neue Konzepte, Innovationen und strukturelle Veränderungen innerhalb einer Branche, da sie auch die Bereitschaft für Veränderungen bei den betroffenen Menschen erhöhen. Die Risikobereitschaft steigt, man öffnet sich leichter dem Neuen.
Neben den qualitativen Veränderungsprozessen im Weinbau und in der Oenologie gab es für die Entwicklung des Fränkischen Weintourismuskonzeptes einen wesentlichen strategischen Ansatz: Aufgrund der kleinstrukturierten fränkischen Weinwirtschaft mit 1200 selbstvermarktenden Betrieben und der starken genossenschaftlichen Erfassung von Traubenerzeugern im Neben- und Zuerwerb musste zu diesem Zeitpunkt auch, oder vor allem, die Entwicklung des ländlichen Raumes im Schwerpunkt der Neuausrichtung stehen. Dies war zwangsläufig mit einer Veränderung der Weinwirtschaft weg von der bisherigen Produktions- und Marketingorientierung hin zur Dienstleistungsorientierung und der Etablierung eines „Weintourismusclusters” verbunden.
Vom Arbeitskreis zur Kompetenzpartnerschaft
Teil des fränkischen Zukunftskonzepts: Das Weinangebot architektonisch veredeln.
Erster zentraler Erfolgsfaktor für die erfolgreiche Entwicklung des Fränkischen Weintourismuskonzeptes Franken – Wein.Schöner.Land ist bis heute der im Fränkischen Weinbauverband geführte, 1994 gegründete gleichnamige Arbeitskreis. Er garantiert die strategische Entwicklung, den Input neuer Projekte und sorgt für Effektivität und Transparenz. Dies fördert in vielen Fällen auch die politische Unterstützung bei der Generierung entsprechender Fördermittel.
Hier sind die Kompetenzen aller lokalen und überregionalen Einrichtungen für die Entwicklung des ländlichen Raumes auf höchster Führungsebene gebündelt. Diese setzen letztendlich Ziele und Maßnahmen des Konzepts mit ihrer jeweiligen Manpower und ihren Kommunikations- und Vertriebsmaßnahmen, aber auch den Einsatz spezifischer Förderprogramme in der täglichen Arbeit um. Das operative Marketing, die jährliche Finanzierung, die Produkt-, Kommunikations- und Vertriebspolitik und das Qualitätsmanagement erfolgt dann in enger Abstimmung durch den Tourismusverband Franken, die Fränkische Weinland Tourismus GmbH, die Gebietsweinwerbung Franken und die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau.
Weintourismus mit Menschen für Menschen
KissVino – die Regionalvinothek in Bad Kissingen
Weiterer Erfolgsfaktor ist die Einrichtung eines eigenen Sachgebietes – heute Arbeitsbereich „Weintourismus und Strukturentwicklung” – am Institut für Weinbau und Oenologie der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim. Zum einen hat die Bayerische Staatsregierung dafür die erforderlichen personellen Kapazitäten bereitgestellt und diese auch mit einem eigenen Förderprogramm ausgestattet. Zum anderen bedeutet Entwicklung des ländlichen Raumes immer auch eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort. Und zwar nicht nur mit Weingütern und Winzern, sondern mit allen lokalen Akteuren, vom Bürgermeister bis zum engagierten Bürger.
Dies setzt sowohl auf lokaler Ebene, auf dem Einzelbetrieb, wie auch bei gemeinschaftlichen Infrastruktur- und Dienstleistungsprojekten einen kontinuierlichen sowie langfristigen Prozess der Moderation, der Beratung und der Qualifizierung voraus. Um es mit einfachen Worten zu beschreiben: Es braucht „Kümmerer” in Form einer institutionalisierten öffentlichen Einrichtung, die unabhängig und ohne Kostenbelastung für alle Akteure des ländlichen Raumes aktiv sein kann.
Informieren, Qualifizieren, Zertifizieren, Kommunizieren
Konzept „Magische Orte des Frankenweins – terroir f”: Hier das gerade erst eröffnete Vinomax in Thüngersheim.
Oder um es anders auszudrücken: erst das Produkt, dann die Marke. Über mehr als zehn Jahre hinweg, von der Gründung des Arbeitskreises 1994 bis zum Start der Marke 2007, wurde das fränkische Weintourismuskonzept „Franken – Wein.Schöner.Land” sozusagen still und ohne großen Marketingaufwand gemeinsam mit der Basis entwickelt und in Form von neuen Infrastrukturprojekten (z. B. Vinothekenkonzept, Architektur & Wein) oder neuen Dienstleistungsangeboten (z. B. Gästeführer Weinerlebnis Franken, Weindozenten) regional umgesetzt. Parallel dazu erfolgten umfangreiche Informations- und Qualifizierungsmaßnahmen – unter anderem Weintourismussymposium und Seminar für die Winzerfrau – sowie die Unterstützung und Absicherung des Konzeptes durch umfangreiche Studien (SINUS 2007, Tourismusbarometer etc.).
Erst im Jahr 2006 wurden die ersten Zertifizierungsmaßnahmen ergriffen, die Marke entwickelt und 2007 dann – sozusagen als kommunikativer Start – die erste Auflage des Premium-Reiseführers in Umlauf gebracht. Er gilt heute als „rote Bibel” für „Franken – Wein.Schöner.Land – Reisen zum Frankenwein”.
Für die Betriebe war die Teilnahme, also die Zertifizierung, während der ersten drei Jahre nicht mit Kosten verbunden. So sollte das wirtschaftliche Risiko zunächst gering gehalten werden, und die Betriebe sollten den Erfolg oder Misserfolg selbst wahrnehmen. 
Neukunden durch Weintourismus
In zahlreichen fränkischen Weinbaubetrieben gibt es moderne Verweilmöglichkeiten für Gäste.
Parallel dazu erfolgte mit der qualitativen Erneuerung der fränkischen Weinwirtschaft eine verstärkte Ausrichtung der Betriebe auf den Weintourismus. Heute bieten über 80 Prozent aller direktvermarktenden Betriebe weintouristische Dienstleistungen in unterschiedlicher Form an: Als Heckenwirtschaft, Weinbistro, Gaststätte, Gästezimmer, Gästeführung oder Veranstaltungen.
Viele Betriebe haben sich in diesem Bereich diversifiziert und neue Einkommenskombinationen geschaffen. Zirka ein Drittel der Neukunden wird inzwischen durch das Angebot weintouristischer Dienstleistungen gewonnen. Dies stabilisiert die betriebliche Zukunft sowie die strukturelle Entwicklung der Dörfer und Städte und deren vor- und nachgelagerte Wirtschaftsbereiche.
Auf der anderen Seite haben Kommunen und Landkreise das weintouristische Potenzial erkannt und in die Infrastruktur investiert. Regionale Vinotheken, Fahrrad- und Wanderwege, Schiffsanlegeplätze oder auch das innovative Konzept der „Magischen Orte des Frankensweins – terroir f” wurden insbesondere von den Kommunen vorangetrieben.
Messbarer wirtschaftlicher Erfolg
Die ständige Evaluierung und Überprüfung der Maßnahmen mittels klassischer Marktforschung, aber auch durch die Bewertung des wirtschaftlichen Erfolges, sind für das Konzept von elementarer Bedeutung. Erst der klar messbare Wert der Wertschöpfung, die Entwicklung der Gästezahlen sowie die eigene Bewertung durch die Betriebe sichern das Überleben eines Konzeptes und einer solchen Marke.
Andererseits sind diese Zahlen eine wichtige Referenz und Argumentationshilfe gegenüber der Politik oder anderen Entscheidungsträgern. Gerade der (Wein-)Tourismus wird ja vielfach noch immer nicht als wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Region wahrgenommen.
 
Der fränkische Weinbau in Zahlen
  • Rebfläche: 6290 ha in Franken, 69 ha in der Region Bayerischer Bodensee, davon in Franken ca. 900 ha Steillagen, 229 Einzel- und 22 Großlagen   
  • Betriebe: Insgesamt 3396 (1990: 7337), davon 1896 mit einer Rebfläche unter 0,5 ha, 194 mit 5 bis 10 ha und 139 mit über 10 ha
  • Direktvermarkter: Insgesamt 768. 69,3 % Anteil an der Rebfläche, 26% Anteil an den Betrieben.
  • Fünf Erzeugergemeinschaften mit 2836 Mitgliedern. 30,7 % Anteil an der Rebfläche, 74 % Anteil an den Betrieben
  • Weinerzeugung: durchschnittlich 450.000 bis 480.000 hl pro Jahr
  • Ertrag: 71 hl/ha im Durchschnitt von 2010 bis 2019
  • Vertriebswege: Winzer/ Weingüter: 68 % direkt/ 15 % Gastronomie/ 8 % Fachhandel; Erzeugergemeinschaften: 23 % Endverbraucher/ 40 % LEH/ 11 % Discount/ 14 % Fachhandel/ 5 % Gastronomie
  • Rebsorten: 82 % Weiße Rebsorten: 24,5 % Silvaner, 24,2 % Müller-Thurgau,12,2 % Bacchus, 5,4 % Riesling; 18 % Rote Rebsorten: 5,4 % Domina, 4,6 %    Spätburgunder
  • Weintourismus: Etwa 83 % direktvermarktende Betriebe mit weintouristischen Dienstleistungen, dadurch rund 30 % der Neukundengewinnung 
  • Wertschöpfung: Gesamt-Tourismus Weinregion Franken (2012): 3,24 Mrd. Euro touristische Bruttowertschöpfung, 1,45 Mrd. Euro Einkommenseffekte. Weintourismus Fränkisches Weinland (2018): 1,6 Mrd. Euro touristische Bruttowertschöpfung, 3,1 Mio. Übernachtungen, 35,5 Mio. Tagesreisen.

 
Der Autor: Vom Winzersohn zum gefragten Berater
Geboren 1954 als Winzersohn im fränkischen Iphofen, studierte Hermann Kolesch Agrarwissenschaften in Gießen. Nach Studium und Promotion trat er 1985 in den bayerischen Staatsdienst ein und war an verschiedenen Landwirtschaftsämtern unter anderem für Betriebswirtschaft, Pflanzenschutz und Versuchswesen zuständig. 1990 übernahm Kolesch die Leitung des Sachgebiets Weinbau der Regierung von Unterfranken. Weinbauberatung, Qualitätsprüfung, Strukturentwicklung und Vermarktung zählten zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit. Neben Lehraufrägen hatte er maßgeblich Anteil an der Entwicklung des Fränkischen Weintourismuskonzeptes „Franken – Wein.Schöner.Land”. Seit 2014 ist er Präsident der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau Veitshöchheim und nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahr 2020 als Berater für das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft tätig.