Fachliches | 07. April 2017

Wohnmobilisten gezielt anlocken

Von Julian Semet, Projektleiter „Erlebnismarke Badische Weinstraße”
Mit dem Wohnmobil durch die Weinberge fahren, auf Winzerhöfen die Nacht verbringen und unbeschwert Leckereien aus Keller und Küche genießen: eine Traumvorstellung jedes Wohnmobiltouristen und ein aktueller Tourismustrend.
Der Wohnmobil-Tourismus hat großes Potenzial für Winzer und Weinorte. Diese Urlaubsform liegt derzeit voll im Trend. Ihre Fans schätzen die Flexibilität und die unkomplizierte Art des Reisens. Alleine in Deutschland sind etwa eine halbe Million Wohnmobile zugelassen. Zusätzlich bereisen etwa eine Million weitere Wohnmobilisten aus dem Ausland Deutschland jährlich mit ihren motorisierten Gefährten. Damit ist Deutschland das Wohnmobil-Reiseland Nummer eins in Europa.
Wohnmobile boomen
Wohnmobilisten
Beim Blick auf Verkaufszahlen wird der Boom noch deutlicher. Der Hersteller-Umsatz zog 2016 um fast ein Fünftel auf 3,94 Mrd. Euro an, die Zahl der Neuzulassungen von Wohnmobilen in Deutschland belief sich 2016 auf rund 35000, was einem Anstieg von etwa 25 % in einem Jahr entspricht. Diese Zahlen nennt der Branchenverband Caravaning Industrie (CIVD). Dieses Potenzial greift auch die Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) für die Badische Weinstraße und ihre Weinregionen auf.
Julian Semet, STG-Projektleiter für die Badische Weinstraße, hat schon zwei sehr erfolgversprechende Workshops in den Winzergenossenschaften Buchholz und Sasbachwalden veranstaltet. Dabei informierte er Winzer und Vertreter von Weinbauorten gemeinsam mit Johannes Hünerfeld aus Kollnau. Dieser ist seit einigen Jahren Verleger von regionalen und internationalen Stellplatz-Führern und Stellplatz-Experte.
Eine interessante Zielgruppe
Wohnmobilisten schätzen Individualität und sind daher stets auf der Suche nach Zielen abseits der ausgetretenen Pfade des Massentourismus. Sie wollen die wertvollsten Tage im Jahr selbst gestalten. Nebensaisonzeiten sind besonders beliebt.
35 Prozent der Wohnmobilnutzer sind im Alter von 50 bis 59 Jahren, gefolgt von 28 Prozent zwischen 60 und 69 Jahren. 24 Prozent zählen 40 bis 49 Jahre. Aber auch unter jüngeren Kunden ist die Tendenz steigend. Was die Lieblingsziele der deutschen Wohnmobilisten angeht, liegt Deutschland mit 89 Prozent deutlich auf Platz eins, vor Frankreich (45 Prozent) und Italien (42 Prozent).
Gerade auf Kurzreisen innerhalb Deutschlands sucht der typische Reisemobiltourist Stellplätze auf und eher selten Campingplätze. Wissenswert ist dabei, dass auch Übernachtungen jenseits der offiziellen Campingplätze akzeptiert werden. Eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ging 2011 von rund 11,7 Mio. Übernachtungen aus.
Zusätzlich zu den 20,8 Mio. Tagesausflügen der Wohnmobilisten errechnete das BMWi einen Gesamtumsatz der Wohnmobilisten von 1,335 Mrd. Euro pro Jahr. Reisemobiltouristen bringen mit Ausgaben von täglich mehr als 40 Euro pro Person eine vergleichsweise hohe Wertschöpfung und sind somit alles andere als Billigtouristen.
Individuelle Stellplätze
Wohnmobilstellplätze sind eigens für die spezifischen Anforderungen der Nutzer ausgestattete Übernachtungsplätze, deren Benutzung rund um die Uhr möglich sein sollte.
In der Praxis zeigen sich folgende Typen von Reisemobilstellplätzen:
  • Transitplatz: Einfacher Übernachtungsplatz, oft ohne jeden Komfort.
  • Kurzreiseplatz: Für Wohnmobile ausgewiesene Stellflächen, häufig mit Ver- und Entsorgungseinrichtungen ausgestattet.
  • Wohnmobilhafen: Stellflächen mit gehobener Ausstattung, die ausschließlich Wohnmobilen vorbehalten sind.
Grundsätzlich verfügen Wohnmobile über einen Frischwassertank und einen Grauwassertank sowie über eine mobile Fäkalienkassette oder einen Fäkalientank. Diese müssen etwa alle zwei Tage entleert oder befüllt werden.
Bezüglich der Ausstattung von Stellplätzen gibt es diverse Umsetzungsmöglichkeiten. Eine Standard-Ausstattung beinhaltet beispielsweise eine Wegweisung im Ort, Beschilderung am Platz, Hinweistafel oder Infovitrine, dezente Beleuchtung, Abfallentsorgung, Prospektservice. Zu einer für Wohnmobilisten wünschenswerten Ausstattung gehören Stromversorgung, Frischwasserversorgung am Platz, Abwasserentsorgung.
Man kann dafür auch die Entsorgungsstationen der Kommunen oder Campingplätze nutzen, sie finden sich oft im Umkreis von wenigen Kilometern. Wichtig sind auch Barrierefreiheit und Parzellierung der Stellplätze.
Zur optionalen Ausstattung zählen etwa Brötchen- und Zeitungsservice, Sanitäreinrichtungen am Platz (Dusche/WC) oder Nutzung von externen Sanitäreinrichtungen, beispielsweise in einem angrenzenden Schwimmbad, Gasflaschentausch am Platz oder extern – eventuell mit Service –, Einrichtungen für Kinder, Grillplatz am Platz oder in der Nähe sowie ein Schwimmbad.
Vielfältige Möglichkeiten der Vermarktung nutzen
Schwarzwald Tourismus und das Projekt „Erlebnismarke Badische Weinstraße” möchten den Wohnmobiltourismus nicht nur fördern, sondern auch aktiv bewerben. Eine erste Stellplatz-Liste wurde erarbeitet und auf www.badische-weinstrasse.de eingestellt.
Weiterhin möchte man die Zusammenarbeit mit dem ADAC-Regionalverband zu diesem Thema ausweiten. Eine aktive Pressearbeit der Tourismusstellen und die Präsenz auf Camping- und Tourismus-Messen sollen die Aktivitäten ergänzen.
Für Betreiber von Stellplätzen können neben Einträgen bei Stellplatzführern wie Top-Platz, Bordatlas, Promobil, Winzer-Atlas oder Landvergnügen auch Nennungen wichtig sein in Fachzeitschriften, auf Reise-Portalen und in Fachforen. Und bei Wohnmobilisten nicht unwichtig ist eine Mund-zu-Mund-Empfehlung. 
Die Region Badische Weinstraße ist aufgrund ihrer Lage, ihrer touristischen Infrastruktur und ihres kulinarischen Angebots zweifellos eine hochattraktive Region für  Wohnmobilfans.
Für die konkrete Umsetzung ist eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Stellplätze erforderlich. Sie sind rechtlich gesehen „bauliche Anlagen” und müssen genehmigt werden. Man sollte sich konkrete Fragen stellen:
  • Was macht bei mir vor Ort am meisten Sinn?
  • Ist das Vorhaben wirtschaftlich? Aufwand und Nutzen sollten ausbalanciert sein.
  • Wie hoch müssen eventuelle Stellplatzgebühren sein?

  • Kann ein Zusatznutzen generiert werden, aus dem die Kosten für Stellplätze quersubventioniert werden können?
Man muss keinen voll ausgestatteten Platz bieten, um Akzeptanz bei den Wohnmobil-Reisenden zu finden und vom Trend zu profitieren. Für ein bis zwei Nächte wird vom klassischen Wohnmobilisten keine Vollausstattung benötigt oder erwartet. Oft ist ein Hinweis über die Lage der nächstgelegenen Ver- oder Entsorgungsstation ausreichend. Gastfreundschaft und ein touristisch attraktives Umfeld sind generell wichtiger als eine Vollausstattung.
Hilfe kann man sich holen unter anderem bei einer Stellplatzberatung, der zuständigen Kommune mit Bau- oder Gewerbeamt sowie der Tourismusstelle der Kommune oder des Landkreises. Sinnvoll ist es auch, bestehende Stellplätze anzuschauen und Kolleginnen und Kollegen anzusprechen.

 
10 Tipps für Einsteiger
  1.  Ortsmäßig passendes Konzept entwickeln, naheliegende Ver- und Entsorgungsmöglichkeiten nutzen.
  2. Wichtigste Grundvoraussetzung: Gastfreundschaft und touristisch attraktives Umfeld.
  3.  Zuständige Kommune zur Genehmigung aufsuchen, oftmals passt ein neuer Stellplatz in das touristische Konzept des Ortes. 
  4. Öffentliche Fördermittel beantragen.
  5. Uneingeschränkte Zufahrt ermöglichen: 24 Stunden täglich, möglichst keine Höhen- oder Gewichtsbeschränkungen.
  6. Gute Ausschilderung im Ort und in der Region.
  7. Ausreichende Beleuchtung der Wege sowie der Ver- und Entsorgungseinrichtungen.
  8.  Hygienevorschriften beachten für Ver- und Entsorgungsanlagen, Abfallentsorgung, Trinkwasserbereitstellung.
  9.  Persönliche Betreuung und/oder Information anbieten mit einer Rezeption oder Infotafel.
  10.  Bei der Kostenkalkulation Zusatzleistungen gesondert berechnen, Übernachtungspreis gegebenenfalls mit Weineinkauf verrechnen.
Es gibt auch eine Planungshilfe für Wohnmobilstellplätze in Deutschland vom Deutschen Tourismusverband (DTV).