Wein und mehr | 02. Februar 2017

Zurück zu den Amphoren

Von Marie-Line Darcy
In Alentejo, einer Region im Süden Portugals, bringen Winzer den Weinausbau in Amphoren wieder in Mode - aus Freude, Wein zu machen wie schon in der Antike.
Traditionelles Erntegeschehen auf dem Weingut Quinta das Ratoeiras in Villa de Frades, Alentejo.
Die Römer, sagt man, hatten eine Leidenschaft für Alentejo. Die Rebe wuchs hier so gut, dass sie entschieden, die ganze Region im Süden Portugals damit zu bepflanzen. Heute ist Alentejo mit 20800 Hektar die drittgrößte Weinregion des Landes. Die Winzer haben hier viel investiert, um Rebflächen und Keller zu modernisieren. Aber es ist die römische Art, Wein in Amphoren zu erzeugen – „Talha” auf Portugiesisch –, der sie ins Gespräch bringt. Diese Art des Weinausbaus hat sich fast unverändert  in den Gegenden Borba, Reguengos de Monsaraz, Granja und Vidigueira gehalten – alle im Osten des Landes gelegen, nahe der Grenze zu Spanien. Die Tonamphoren von Alentejo können bis zwei Meter Höhe erreichen. Man füllt sie bis zum Hals mit kurz gestampften Trauben, entrappt oder auch nicht. Bei den Puristen startet die Gärung spontan, ohne jede Zugabe, zwischen 24 und 48 Stunden nach dem Befüllen der Talha. „Während der folgenden drei Wochen stoßen wir den Tresterhut zweimal täglich mit einer langen Stange. Dazu müssen wir über den Amphoren ganz schön balancieren”, erklärt Pedro Luiz de Castro, Winzer in Vila de Frades, nahe Vidiguiera, wo der Weinausbau in Amphoren mit besonderer Hingabe betrieben wird. Pedro Luiz de Castro und seine Frau Patricia ernten 80 Tonnen Trauben von den 21 Hektar ihres Weinguts Quinta das Ratoeiras. Sie verfolgen mit einem kleinen Landhotel zudem ein Weintourismusprojekt. Fünf Tonnen ihrer Ernte werden dem Weinausbau in Amphoren gewidmet. Ihr Ziel ist es, dafür die Ursprungsbezeichnung  „Alentejo vinho de Talha” zu erhalten. Es ist noch nicht lange her, dass diese Bezeichnung kreiert wurde, um die Authentizität dieses handwerklich gemachten Weines zu dokumentieren. Der Weinausbau ist nicht so einfach, wie es scheint. Während der Gärung muss man dem Abgang des Kohlendioxids  nachhelfen, weil sonst eine Anreicherung die Amphoren zum Bersten oder gar zur Explosion bringen kann. Das ist eine der Funktionen des Stoßens von Hand. Des weiteren zwingen hohe Temperaturen bei der Lese (teilweise bis zu 40 Grad) die Winzer dazu, die Amphoren mit nassen Tüchern zu überziehen, um sie zu kühlen. Weiteres Eingreifen ist nicht vorgesehen. Ist die Gärung abgelaufen, werden die Weine abgestochen. Dafür gibt es eine Öffnung am Boden der Amphoren. Bis zu den 50er- und 60er-Jahren konnte es vorkommen, dass es in Kellern bis zu 100 oder sogar
Amphorenbefüllung per Haushaltsleiter
150 Amphoren gab. In Vila de Frades ist der Keller von Arlindo Maria Ruivo einer der letzten Verteter solch traditioneller Keller. In diesem Gebäude, erbaut gegen Ende des 18. Jahrhunderts, wacht man eifersüchtig über 52 Amphoren, darunter einige aus der Anfangszeit. „Hier bewegt sich die Temperatur permanent zwischen 18 und 19 Grad Celsius, selbst wenn es draußen 45 Grad heiß ist. Der Bau wird natürlich belüftet. Gut durchdacht”, erklärt Arlindo Ruivo. Seine Amphoren fassen bis zu 1200 Liter Wein, aber heute nutzt er aufgrund seines Alters nur noch zwei oder drei für den persönlichen Verbrauch. Die Pflege der Amphoren macht viel Arbeit. Nach der Weinbereitung muss man sie auf den Kopf stellen über eine Feuerstelle mit Glut, damit der Pez schmilzt. Der Pez ist eine Masse, zusammengesetzt aus Pinienharz, Wachs und Olivenöl, die dazu dient, die Amphoren abzudichten und deren Zubereitung einem Spezialisten überlassen wird. Nachdem die alte Auflage entfernt ist, wird eine neue aufgebracht. Einige Produzenten haben bereits synthetische Produkte probiert, die einfacher aufzubringen sind, doch diese haben sich für die Atmung als katastrophal erwiesen.
Die römische Tradition befolgen
Ablasshahn der Amphore, Wein läuft aus.
„Um derartige Modernisierungen zu vermeiden, haben wir die Appellation Talha auf den Weg gebracht. Die Amphoren und die ursprünglichen Weine daraus sind unser Reichtum. Wir müssen sie schützen”, erklärt José Miguel Almeida, der Vorsitzende der Genossenschaft von Vidigueira. Er ist einer der Gründer von Vitifrades, einer Vereinigung, die seit 1998 einen Wettbewerb mit Amphorenweinen ausrichtet. Jedes Jahr ermöglichen der Wettbewerb und die Festveranstaltungen drumherum, diese Erzeugung bekannt zu machen. Hunderte Menschen bevölkern dabei das Dorf Vila de Frades und flanieren von Schänke zu Schänke, um den Wein zu probieren. „Jede Amphore bringt einen individuellen Wein hervor, den man nicht nachmachen kann”, unterstreicht José Miguel Almeida. In der Gegend von Vidigueira wird die Produktion von Talha-Wein, der für den Verkauf bestimmt ist, auf 150000 Liter geschätzt. Das entspricht dem Inhalt von 200 bis 250 Amphoren. „Einige Erzeuger behelfen sich mit Hefen und Kühlschlangen. Aber das entspricht nicht der römischen Tradition”, erklärt der Vorsitzende von Vitifrades, Luis Carapeto. Die Appellation ist dazu da, die Ursprünglichkeit des Weines zu erhalten. Sie setzt Abbeeren voraus, Mazeration in den Amphoren mindestens bis zum 11. November des Jahrs der Lese und die Abfüllung in den Kellern der Herkunft.
Ein Erbe von hohem Wert
Die Amphoren wären beinahe verschwunden. Bis in die Sechzigerjahre hat man sie zerstört, um daraus Baumaterial zu gewinnen. Dabei können die schönen Talhas heute gar nicht mehr produziert werden, weil es an ausreichend großen Brennöfen für den Ton fehlt. Sie sind heute gesucht für die ursprüngliche Verwendung. Die Preise reichen von 500 Euro bis 1000 Euro. Wenige Weinerzeuger sind bereit, noch mehr zu zahlen. Dennoch kommt es vor, dass Raumausstatter oder Antiquitätenhändler noch darüber gehen und bis zu 3000 Euro pro Stück bieten. Die Vereinigung Vitifrades ruft die Eigentümer von Amphoren dazu auf, solchen Offerten nicht zu erliegen, um das regionale Erbe zu erhalten.
Rar, originell ... und teuer
Arlindo Ruivo wacht über die Talhas von Alentejo.
Angesichts der Bedingungen für den Weinausbau achten die Winzer darauf, Trauben mit ausreichender Säure (niemals pH-Werte über 3,6) und reich an Zucker zu verwenden, damit die Weine gut gegen mikrobielle Angriffe und Oxidation gewappnet sind. Um der Tradition zu genügen, verwenden die Puristen als einzige Zugaben Weinsäure und SO2 bei der Abfüllung. Die Amphorenweine verkaufen sich zwischen 12 und 15 Euro je Flasche, während  der Durchschnittspreis für Wein aus Alentejo bei rund 2,50 Euro liegt. Weil das Produkt als rar und originell angesehen wird, interessieren sich auch große Erzeuger. Das Gut Casa Agricola Alexandre Relvas, nahe bei Beja, der Hauptstadt von Alentejo, vermarktet vier Millionen Flaschen. Es hat sich dazu entschieden, in die Produktion von Talha-Wein einzusteigen. „Es ist eine Rückkehr zu den Anfängen, ein Ausdruck der Freude, Wein einfach zu erzeugen. Das Produkt verkörpert einen hohen kulturellen Wert”, erklärt Alexandre Relvas Jr.